„I often ask myself what it must feel like to have a relationship without this illness“

Ängste und Beziehungen

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Lieblingsgetränk: Pfefferminztee\\
Favourite drink: peppermint tea

Eine Beziehung zu führen, heisst es, sei nicht immer einfach. Eine Beziehung zu führen mit einer generalisierten Angststörung ist, so jedenfalls für mich, eine grosse Herausforderung.

Der Wunsch geliebt zu werden, verbindet uns alle und so auch die Angst den geliebten Menschen wieder zu verlieren. Ich frage mich oft, wie es sich anfühlt eine Beziehung zu führen ohne diese Krankheit. Wie gross sind diese Ängste; die Angst, wieder zu verlieren, die Angst doch nicht geliebt oder verletzt zu werden? Bei mir sind sie fast immer ein Teil von mir. Liebe ohne Angst kenne ich nicht. Ein reines Gefühl der Liebe ohne diesen Tropfen Wehmut und Melancholie, ohne die Angst des Verlustes, ist mir fast gänzlich fremd. Es hat sein Gutes, denn es hält die Liebe am Leben. Die Angst ist wie das Adrenalin, welches das Herz dazu bringt, wieder zu schlagen. Sie schärft die Sinne und macht, dass man den anderen wahrnimmt. In einer langen Beziehung lässt die Aufmerksamkeit normalerweise nach. Verlust erinnert einen dann daran, was man hatte, auch wenn man es, als es noch da war, schon lange zu schätzen vergessen hatte. So ist das für gewöhnlich, nicht wahr? Aber ich vergesse nicht, was ich habe. So sieht die goldene Seite der Medaille der Angst aus: Die Angst lässt einen nicht vergessen, was man hat, sie hält wach und aufmerksam. Doch die Kehrseite der Medaille ist genauso präsent. Manchmal ist es nur eine Prise Wehmut, wie nach einem wunderbaren Tag, wenn die Sonne untergeht und einen die Erkenntnis trifft, dass dieser eine Tag nie wiederkehren wird. Aber manchmal frisst mich die Angst auf. Der Mensch, der ich zu sein glaube, verschwindet in diesen Momenten, und ich werde zu einer anderen Person. Die Angst lässt dann Gedanken real erscheinen, die völlig absurd sind.  Das folgende Beispiel illustriert das: Vor einiger Zeit war ich an einem Festival. Ein tolles Erlebnis sollte man meinen. Und zum Teil war es das auch, aber meine Krankheit liess es mich wieder einmal mit allen Sinnen erleben. Einen Menschen zu vermissen ist normal, doch es gibt diese Art von verzweifeltem Vermissen, die man wahrscheinlich verspürt, wenn man die Person, die man liebt, nicht sieht und weiss, dass etwas nicht stimmt. Nur bei mir stimmt ja eigentlich alles. Meine Beziehung ist wunderbar und voller Liebe. Doch wenn ich ihn nicht sehe und er mir nicht schreibt, habe ich Angst, dass er plötzlich merken könnte, dass er mich doch nicht liebt. Oder dass er gerade feststellt, dass sein Leben viel angenehmer ist, wenn er mich nur an den Wochenenden sieht. Oder ganz einfach, dass ihm etwas passiert ist. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Ängste natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Sowas kann passieren. Oder nicht? Keine Ahnung. Ich traue mir nicht zu, zu beurteilen, ob sowas passieren kann oder nicht. Ich denke jedenfalls immer gleich an das Schlimmste und dann kann ich nicht mehr aufhören daran zu denken. Wie mit einem Kratzer in der Platte dreht mein Hirn so schliesslich immer und immer wieder um denselben Gedanken bis dieser Gedanke alles ist, was ich noch von mir wahrnehme. Ich möchte ihm dann schreiben und einfach etwas von ihm hören, weil ich nicht weiss, wie ich das Drehen sonst stoppen könnte. Aber dann kommt die Angst, dass er denkt, dass ich klammere und zu einer Belastung werde, wenn ich schreibe. Also rede ich mir ein, dass ich nicht schreiben darf, denn wenn er mich liebt, dann meine ich zu wissen, dass er mich irgendwann weniger oder nicht mehr lieben wird, weil ich ihm schreibe, wenn ich Angst habe. Ich werde mir immer sicherer, dass er mich so nicht mögen kann, weil ich anstrengend und nervig bin und weil es einfacher wäre, wenn ich keine Angststörung hätte. Also halte ich die Verzweiflung aus, für mich alleine. Die ursprüngliche Verzweiflung wird so dann zu einer tiefen Traurigkeit und Leere in mir.

Es gibt viele Tage, an denen ich mir wünsche, nicht krank zu sein, sondern ein normales, angstbefreites Leben zu führen. Ich denke oft, dass ich das Leben kompliziert mache, dass ich alles kompliziert mache, und irgendwann verstehe ich nicht mehr, weshalb überhaupt irgendwer mit mir Zeit verbringen möchte. Meine Gedanken drehen sich und verstricken sich dann in einem riesigen Wollknäuel. Ein solcher Wollknäuel ist für mich an einem gewissen Punkt fast nicht mehr auszuhalten. Er bedeutet, dass ich mich hilflos fühle, ich keinen Ausweg mehr finde; dass ich die Kontrolle verloren habe. Einen solchen Wollknäuel zu entwirren, schaffe ich meist nicht von alleine. Ich brauche jemanden, der ihn mir entwirrt; jemanden, dem ich meine Ängste vortragen kann, auch wenn sie noch so absurd sein mögen, und der dann mit mir bespricht, wie wahrscheinlich es ist, dass sowas tatsächlich eintrifft und was, falls es eintrifft, das dann genau zu bedeuten hat. Denn soweit denke ich meist gar nicht. Ich bleibe ja hängen im Wollknäuel.

Eine Beziehung zu führen mit jemandem wie mir ist nicht immer einfach. In den guten Phasen lässt es sich oft einfach vergessen, was ich habe. Doch in den schlechten Phasen bin ich vielfach verzweifelt und werde noch viel verzweifelter, wenn ich daran denke, wie es für meinen Partner ist, meine Ängste aushalten zu müssen. Ich versuche ihn jeweils nicht allzu sehr merken zu lassen, wie es mir geht, aber ich denke, dass auch das nicht wirklich richtig ist, weil ich ihn dann aus einem Teil meines Lebens ausschliesse und mir nicht helfen lasse. Und schon wieder fangen meine Gedanken an zu drehen, was soll ich da machen?

Ich bin trotz allem eigentlich ein sehr lebensfroher Mensch. Vielleicht auch manchmal wegen der Angst. Sie lässt mich, wie schon gesagt, schätzen, was ich habe. Auch wenn die Verzweiflung manchmal kaum auszuhalten ist. Ich denke aber, dass jeder etwas mit sich zu tragen hat. Und das ist es nun mal, was ich mit mir trage; mein Leben lang.

Generalisierte Angststörung: Eine Form der Angststörung, bei welcher die Angst nicht situativ bedingt auftritt, sondern vielmehr frei flottiert. Zu den Sorgen in diversen Lebensaspekten (Sorgenbereiche können beispielsweise die Themen Familie, Finanzen oder Arbeit und Leistung umfassen) treten körperliche Symptome wie Schwitzen, Herzrasen, Atembeschwerden oder eine generelle Unruhe hinzu1.

 

Anxieties and Relationships

To have a relationship, it is said, it not always easy. Having a relationship with generalised anxiety disorder, however, is, at least to me, a big challenge.

We are all connected by the wish to be loved and the fear of losing the one we love again.  I often ask myself what it must feel like to have a relationship without this illness. How big are these fears; the fear of losing everything again, the fear of not actually being loved, the fear of being hurt? In my case, they are almost always a part of me. I do not know love without the anxiety surrounding it. There is almost no feeling of love without this drop of melancholy and wistfulness. It does have its good sides because it keeps the love alive. The anxiety is like the adrenalin which makes the heart start to beat again. It sharpens the senses and makes one notice the other one. Normally, time after time, the attention one gives and is given in return in a relationship vanishes. Losing what you have then reminds you of what you used to have, even though you long stopped to appreciate it. It is usually like that, is it not? But I do not forget about what I have.  This is what the positive part of the anxiety looks like: It does not let you forget about what you have, it keeps you awake and attentive. However, there are negative sides to it, too. Sometimes it is just a drop of wistfulness like the realisation that hits you after a wonderful day when the sun is setting that this day and moment will never come back. Sometimes, however, the anxiety eats me up entirely. The person, I thought I was, then vanishes and I become someone else entirely. At this point, the anxiety makes thoughts that seem irrational seem perfectly real to me. The following example illustrates that: some time ago, I was at a festival. A nice event, one should think. And partly, it was but my anxiety just overwhelmed me once again. To miss someone is completely normal, but there is a kind of desperately missing someone, which you feel when you cannot see the person you love and know that something is wrong. The difference is only that everything is fine in my case. My relationship is wonderful and full of love. However, when I cannot see him and he does not write me, I become anxious that he might suddenly realise that he does not love me after all. Or that he is just about to see that his life is much more agreeable if he only sees me on the weekends. Or just simply that something has happened to him. To some degree, those fears are obviously not irrational. Something like this can happen. Or can it? I do not know. I do not dare to judge myself if something like this can happen or not.  Either way, I always think of the worst and then I cannot stop thinking about it. Like with a scratch on a vinyl disk, my mind keeps and keeps on spinning around the very same thought until that thought is everything I can feel. I then usually become anxious that he thinks that I am too clingy or that I become a burden when I write him. Therefore, I talk myself into not being allowed to write him as I think that I know that if he loves me, he will love me less or even stop to love me completely because I write him when I am anxious. I then become surer and surer that he cannot like me because I am exhausting and annoying and because it would be much easier if I did not have the anxiety disorder. That is why I will keep the despair to myself, suffering in silence. This despair eventually develops into a deep sadness and emptiness inside of me.

There are many days where I wish that I were not ill but able to live a normal, anxiety-free life. I often think that I overcomplicate life, that I overcomplicate everything and then I do not understand anymore how anyone can actually want to spend time with me. My thoughts will spin and tangle themselves into this huge ball of wool; a ball of wool that, over time, becomes almost unbearable. It means that I feel helpless and that there is no way out; that I have lost control. I am usually not able to detangle it myself but need someone to help me detangle it; someone, whom I can tell my anxieties even if they are absurd, someone who talks me through them and discusses with me how realistic and probable they are and what it would mean, if they should actually come true; because usually, I do not even think that far. I just remain stuck in this ball of wool.

To have a relationship with someone like me, is not always easy. It is easy to forget what I have when everything is fine. In the bad times, however, I am often desperate and become even more desperate when I think of what it must be like for my partner to come to terms with my anxieties.  I always try not to let him feel too much how I am doing but I think that that is not entirely right either, as in this way I am excluding him from a part of my life and refuse to let him help me. Again, my thoughts start turning already again but what should I do?

After all and with all of this, I am actually a very happy person, maybe sometimes even because of the anxiety. As I have already said, it lets me appreciate what I have even though the despair can be difficult to deal with at times. Well, I guess everyone has their burden to carry. And this is my burden – which I have to carry for life.

Generalised Anxiety Disorder: An anxiety disorder where the anxiety is not confined to certain situations but rather floats around freely. The general worrying (areas that induce anxiety can include e.g. family, financial matters or work) is accompanied by a range of physical symptoms like sweating, heart palipitations, difficulties breathing or restlessness and nervousness2.
Quellen/ Sources:

1 „Generalisierte Angststörung“. Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Generalisierte_Angstst%C3%B6rung [Letzter Aufruf: 03.09.2017].

2 „Generalised Anxiety Disorder“. Wikipedia, URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Generalized_anxiety_disorder [Letzter Aufruf: 03.09.2017].

Veröffentlicht von

ginamesserli

philosophy student @ university of Zürich, wannabe vegan, coffee and tea lover and knowbetter, so basically your average philosophy student.

4 Gedanken zu „„I often ask myself what it must feel like to have a relationship without this illness““

  1. Das klingt unfassbar anstrengend – und das auch noch als Zusatzbelastung zu der Erkrankung an sich, das tut mir leid :/ Als sich meine Angststörung gemeldet hatte, wurde ich auch andauernd von schlechtem Gewissen geplagt. Weil mein Freund immer für mich da war, mich so sehen und „ertragen“ musste, auf mich mehr Rücksicht nehmen musste als sonst… Ich habe mich wie die größte Last gefühlt und das nimmt nicht gerade den Druck raus, den man dank der Angst ja ohnehin dauernd hat 😦

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    1. Liebe Tatjana, ich bin die Verfasserin dieses Textes. Ja, es ist unglaublich anstrengend manchmal. Momentan eigentlich fast immer. Ich habe das Gefühl, ständig mit mir kämpfen zu müssen. Ich muss mich immer fragen, ob ich gewisse Empfindungen meinem Freund gegnüber berechtigt sind oder ob sie sind, weil ich spinne. Und was du sagst, dass man sich als Last empfindet, dieses Gefühl macht mich manchmal fast wahnsinnig. Eigentlich bin ich eine selbstbewusste Person, aber manchmal fühle ich mich wie einen kleinen Wurm in meiner Beziehung und glaube mir, nicht wegen ihm, sondern weil ich mich nicht mag, wenn ich Angst habe und die Angst eine Last zu sein und dass er mich auch nicht mag, wenn ich Angst habe, macht die Angst noch viel grösser und unerträglicher. Was mir wirklich hilft, ist darüber zu schreiben. So kann ich den Gedankenknäuel entwirren. Vielleicht hast du ja auch eine gute Methode entwickelt, um damit umzugehen. Was machst du mit deinem Freund, dass es trotzdem funktioniert und die Angst erträglich ist?

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      1. Wir reden sehr viel darüber. Mittlerweile, da es mir besser geht, nicht mehr so intensiv wie anfangs. Aber Reden hilft (half) mir sehr. Weil ich aus seinen Worten immer heraushören konnte, dass er mich so liebt und annimmt, wie ich bin. Und dass er mich nicht als Last wahrnimmt, sondern sich vielmehr „nur“ um mich sorgt – er will ja auch, dass es mir gut geht und ich glücklich bin.
        Beispielsweise habe ich ihn auch direkt gefragt was ich tun könnte, damit er selbst es leichter hat. Immerhin ist das ja eine ungewohnte, anstrengende Situation für ihn. Er wollte zB wissen, wie genau er sich verhalten sollte, wenn ich in einer Panikattacke stecke. Dadurch, dass ich ihm erkläre, wie es mir geht und was ich in diesem Moment brauche, nehme ich ihm den Druck, irgendwas zu finden, das den Moment für mich angenehmer macht. So weiß er schon, dass er mir ruhig zureden, oder mich streicheln kann. Und gar nicht mehr zu machen braucht. Das beruhigt ihn in dem Moment auch.
        Meine Therapeutin hat zudem immer gesagt, dass ich mich nicht so sehr als Pflicht wahrnehmen sollte. Ich bin nicht die „Aufgabe“ meines Freundes, er MUSS sich nicht mit mir herumschlagen. Er ist für mich da, weil er sich dafür entschieden hat. Er könnte gehen. Ich nagle ihn nirgends fest. Und doch ist er da und tröstet mich und sieht sich mit mir Serien an und macht dämliche Witze und krault meinen Kopf. Das habe ich mir oft genug in Erinnerung gerufen, bis ich es endlich glauben konnte 🙂

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  2. Liebe Tatjana, Gina hier (Admin)

    Ich habe deinen Kommentar der betreffenden Person weitergeleitet und hoffe, dass diese sich selbst bald noch auf darauf melden wird 🙂
    Das mit dem schlechten Gewissen klingt nervenaufreibend, aber es ist schön zu hören, dass dein Freund da war, als du ihn gebraucht hast! Auch wenn das natürlich nochmals Druck aufgesetzt hat. Ist nicht gerade eine einfache Situation, das kann ich durchaus verstehen….

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