„Ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung ist nicht einfach nur «krank», sondern hat auch „gesunde“ Seiten an sich, über die du mit ihm ins Gespräch kommen kannst“

Zum Umgang mit einer depressiven Episode und dem Problem der Stigmatisierung am Arbeitsplatz

cof

Lieblingsgetränk: Tee bzw. Ice Tee

 

G: Liebe K, herzlichen Dank für dieses Interview

K: Gerne.

G: Du hast an einem Zeitpunkt in deinem Leben an einer mittelgradigen depressiven Episode gelitten – wie kam es dazu und wie präsentierte sich die Krankheit im Konkreten?

K: Ich hatte schon während längerer Zeit einen Konflikt an meinem damaligen Arbeitsplatz. Mir setzte da ein häufiger Führungs- und ein damit verbundener professioneller Richtungswechsel zu. Dieser Konflikt spitzte sich dann derart zu, dass es – plötzlich – überhaupt nicht mehr ging. Es machte keinen Sinn mehr – nichts machte überhaupt mehr Sinn. Ich wurde dann auch suizidal. In diesem Zustand suchte ich schliesslich meinen Hausarzt aufgesucht, da ich zu diesem Zeitpunkt keinen anderen Arzt hatte. Dieser hat dann mit mir gesprochen, hat mich z.B. gefragt, ob ich nicht mehr schlafen könne und ob ich Gedankenkreisen hätte. Wir haben dann zusammen besprochen, was man machen könnte. Er hat dann herumtelefoniert und hat schliesslich eine Klinik gefunden, in welche ich noch am selben Tag eintreten konnte. Heute bin ich extrem froh, dass das so schnell ging, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich ansonsten noch hier wäre.

 

G: Du bist also auch einige Wochen stationär in Behandlung gewesen – was sind deine Erfahrungen hiermit?

K: Es war insgesamt eine gute Erfahrung. Ich hoffe zwar, dass ich nie mehr derart schwer krank werde, aber ich würde wieder stationär gehen, wenn ich in dem Zustand wäre. Der Eintritt war noch eindrücklich. Ich bezog damals mein Zimmer und setzte mich danach im Aufenthaltsraum an einen Tisch. Ich war zu jener Zeit schwer depressiv d.h. ich redete nicht mehr von mir aus, sondern sass einfach da. Die Mitpatientinnen kamen dann nacheinander auf mich zu, stellten sich mir vor und fragten, ob ich das erste Mal in einer Klinik sei. Da dachte ich dann etwas erschrocken: „Kommt man da mehrmals hin?!“. Weil ich das erste Mal in einer Klinik war, begannen sie mir zu erzählen, wie der Klinikalltag abläuft und beispielsweise auch, dass man auf dem Klinikgelände spazieren könne. Es gab verschiedene Therapieangebote und man hatte regelmässig Gespräche mit einem Bezugspfleger, der Psychiatriefachmann war, und mit dem Arzt/Psychiater. Ich habe heute noch einen Stein, welchen ich in einer der Therapie geschliffen habe, bei mir auf dem Bürotisch stehen.

Es sind sehr einfache Arbeiten, die man in der Therapie machen kann. Einen gesunden Menschen würden solche Arbeiten unterfordern oder komplett langweilen. In einer Depression hat man jedoch keine Energie mehr für sehr anspruchsvolle Arbeiten, weder gedanklich noch körperlich. Deshalb habe ich an diese therapeutischen Arbeiten gute Erinnerungen.

 

G: Wie hat dein Umfeld damals reagiert und wie hättest du dir gewünscht, dass es reagiert?

K: Mein Chor hat damals positiv reagiert. Es kamen dann auch andere Frauen auf mich zu und erzählten mir, was sie bereits erlebt hätten. Dort konnte ich dann irgendwann auch sagen: «Okay, du musst mich jetzt nicht mehr jedes Mal fragen, wie es mir geht» und das haben sie sich auch sagen lassen.

Am Arbeitsplatz war das etwas Anderes. Das sind natürlich Professionelle, bei denen ich dann nie mehr ganz von diesem Label wegkam. Dort hätte ich mir schon einen anderen Umgang gewünscht. Allerdings denke ich auch, dass das an anderen Arbeitsorten sicherlich auch anders gehandhabt wird.

Privat hat es effektiv Leute gegeben, die sich von mir abgewandt haben; wahrscheinlich aus einer Überforderung heraus. Nach zwei Jahren dann, als es mir wieder besserging, mochte ich da den Kontakt aber auch nicht mehr aufnehmen. Schliesslich habe ich ja auch neue Kontakte gefunden, beispielsweise in einer Selbsthilfegruppe.

Ich denke, ich kann einfach nicht von allen erwarten, diesen Weg mit mir zu gehen, denn das ist schwer. Es ist aber sicherlich schön, wenn das Umfeld flexibel reagiert; denn diesen Weg mitzugehen, fordert eine gewisse Flexibilität. Und das überfordert wohl viele Leute.

 

G: Du bist anfänglich offen mit deiner Erkrankung umgegangen, hast dann aber bald bemerkt, dass viele, besonders auch auf der Arbeit, nur noch die Kranke in dir sahen. Möchtest du diese Erfahrung ein wenig ausführen – wie fühlt es sich an, am Arbeitsplatz stigmatisiert zu werden und welchen Umgang hättest du dir gewünscht?

K: Da ich fast zwei Monate stationär war, musste ich meine Arbeitskolleg_Innen und Vorgesetzten über die Krankheit informieren. Auch als ich nach dem Klinikaufenthalt die Arbeit zu 50 % wiederaufnehmen konnte, war ich noch nicht ganz gesund. Das haben meine Arbeitskolleg_Innen miterlebt. Ich konnte mein Pensum dann aber relativ rasch steigern und wäre wieder voll leistungsfähig gewesen. Trotzdem wurde ich weiter geschont d.h. es wurden mir keine Projektmitarbeiten mehr zugetraut und ich musste meinen Arbeitskolleginnen die einfacheren Arbeiten, welche mich unterforderten, abnehmen, während sie die interessanten Zusatzarbeiten zugeteilt erhielten. Obwohl ich das gegenüber meiner Vorgesetzten thematisierte, wurde nichts dagegen unternommen. Die Begründung war dann immer: „Du warst aber einmal krank und könntest wieder krank werden. Wir haben eine Verantwortung für dich.“

Ich hätte mir gewünscht, dass mein Arbeitgeber den Gesundungsprozess und die damit verbundene Steigerung meiner Leistungsfähigkeit mitgemacht hätte; dass er mir mit der Zeit auch wieder mehr zugetraut hätte. Denn Unterforderung kann auch krankmachen und mir war es teilweise wirklich todlangweilig.

 

G: Durch deinen Beruf als Sozialversicherungsfachperson kommst du auch im beruflichen Leben viel mit dem Thema «psychische Krankheiten» in Kontakt. Inwiefern beeinflussen sich diese beiden Perspektiven – die professionelle und diejenige jemandes, der selbst einmal eine psychische Krankheit durchlebt hat – gegenseitig?

K: Ich kam tatsächlich zuerst als Fachperson in Kontakt mit psychisch Kranken. Ich fand das damals, als ich kurz nach meiner Ausbildung meine erste Stelle antrat, eigentlich auch ziemlich spannend. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass diese Leute «spinnen» oder gar Angst vor ihnen, da ich sie ja auch persönlich kennen lernte. Diese Erfahrungen nahm ich auch in mein weiteres Berufsleben mit.

Als ich dann selbst als Patientin in die Klinik ging, hatte ich eigentlich ebenfalls keine Angst, schon gar keine Berührungsängste.

Heutzutage scheint es in meiner Funktion für mich zwei Haltungen zu geben, die ich gut miteinander vereinen kann: Da ist einerseits die Perspektive der Gesunden, die auch ein wesentlicher Teil meiner Arbeit ist und sein muss, andererseits aber auch die Perspektive jemandes, der selbst einmal eine Episode psychischer Krankheit erlebt hat; und das hilft mir. Natürlich nimmt man manchmal den Telefonhörer ab und denkt, dass das, was die Person am anderen Ende der Leitung sagt, recht krank ist. Auf der anderen Seite, wenn ich auf meine damaligen Probleme zurückblicke, dann muss ich heute auch sagen, dass das ziemlich krank war.

 

 – Die nächsten zwei Fragen beziehen sich auf die Situation in der Schweiz –

 

G: Eine psychische Krankheit darf mit Blick auf den Beruf oder einen allfälligen Stellenwechsel nicht immer verschwiegen werden. Könntest du den Lesern einige Tipps geben, wann eine Offenlegung notwendig ist?

K: Das ist eine rechtliche Frage. Wechselt man beispielsweise die Stelle und erhält den Gesundheitsfragebogen der Pensionskasse, dann muss man die Angaben natürlich wahrheitsgetreu ausfüllen. Alles andere ist falsche Antragsdeklaration und in so einem Fall hat man leider die Pensionskassenbeiträge vergebens bezahlt.

Im Vorstellungsgespräch ist es wohl eine Ermessensfrage. Vorausgesetzt, dass man gesund ist und die geforderte Leistung erbringen kann, muss man nichts sagen. Ich habe damals nach meiner Episode und als ich wieder gesundet war, auch nichts beim Vorstellungsgespräch gesagt. Hätte man mich konkret gefragt, ob ich Erfahrungen damit habe, dann hätte ich mich wohl rausgeredet, da ich Angst gehabt hätte, dass man mich nicht nähme, weil man mir nichts zutraut.

Im Zweifelfalle würde ich mich von der Rechtschutzversicherung leiten lassen.

 

G: Es ist möglich, als psychisch kranke Person eine Invalidenrente zu erhalten, wenn man «austherapiert» ist. Dem Begriff «austherapiert» hängt aber immer noch eine grosse Unschärfe an. Was muss man momentan unter «austherapiert» verstehen und was ist deine persönliche Meinung dazu?

K: Das grosse Thema, besonders bei Depressionen, ist heutzutage vor allem, dass es diese Invalidenrente für die betroffenen, psychisch kranken Personen eben meist gerade nicht gibt, weil man davon ausgeht, dass die Krankheit vorbeigehen wird. Was man unter dem Begriff «austherapiert» zu verstehen hat, kann ich so nicht direkt benennen, da ich nicht Arzt bin. Im Grunde genommen ist es sicher aber auch ein Problem, dass viele Leute die Medikamente zu schnell wieder absetzen und teilweise rückfällig werden oder die Therapie zu wenig seriös angehen. Deshalb ist es auch so schwer an eine solche Rente zu kommen. Vielfach ist natürlich auch problematisch, dass man sich selbst als kranke Person nicht mehr helfen lässt, sondern es eigentlich einfacher fände, einfach eine finanzielle Leistung zu erhalten. Hier aber finde ich, dass man damit niemanden einen Gefallen tut. Schliesslich wird man auch mit einer Invalidenrente nicht plötzlich gesund. Im Gegenteil: Das ist dann sogar noch ein zweites gesellschaftliches Stigma, mit dem man leben muss. Kann einer Person aber wirklich nicht geholfen werden, dann ja, kann eine Invalidenrente durchaus gerechtfertigt sein.

 

G: Als Betroffene wie als jemand, der selbst mit solchen Menschen in Kontakt kommt – was sind wichtige Tipps, egal aus welcher Perspektive, die du jemandem, der selbst betroffen ist, auf den Weg geben kannst?

K: Es ist nicht ganz einfach, Tipps zu geben. Wichtig ist aber sicherlich, einfach dran zu bleiben, besonders auch auf dem medizinischen Weg, selbst wenn es momentan keinen Sinn zu machen scheint. Es ist sehr hart durchzuhalten, aber es wird Schritt für Schritt besser werden.

Was mir damals auch sehr geholfen hat und was ich auch zwei Jahre lang durchgezogen habe, ist der Besuch einer Depressions-Selbsthilfegruppe. Die wird nicht von Fachleuten, sondern von Betroffenen selbst organisiert. Oftmals hatte meine Ärztin auf Fragen wie beispielweise, wieso schon staubsaugen für mich extrem anstrengend ist, obwohl mein Körper ja eigentlich gesund ist, keine Antwort; dort aber hört man auch von anderen, denen es so geht und fühlt sich zumindest nicht mehr so allein. Dieser Austausch mit Gleichbetroffenen hat mir wirklich sehr geholfen und das waren auch die Menschen, die mir die besten Tipps geben konnten, wie ich mit der tatsächlichen Situation umgehen konnte.

 

G: Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?

K: Ich wünsche mir einen natürlichen Umgang zwischen psychisch kranken und psychisch gesunden Menschen. Jeder Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte. Auch ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung ist nicht einfach nur «krank», sondern hat auch „gesunde“ Seiten, über die du mit ihm ins Gespräch kommen kannst.

„I always say: depression is not an illness which just goes away again once you have it but will accompany you for the rest of your life; it is something, you must learn to deal with“

Mobbing, Depression und der Kampf um die eigene Sexualität

cof

Lieblingsgetränk: Selbstgemachter Ice Tee//
Favourite drink: Homemade ice tea

G: Herzlich willkommen und vielen Dank für das Interview mit dir.

J: Bitte, bitte, gern geschehen.

 

G: Erzähle mir doch ein wenig über dich selbst – wieso hast du dich überhaupt auf dieses Interview eingelassen und was ist deine Geschichte?

J: Wir kennen uns schon längere Zeit, du hast mich gefragt – hier bin ich [lacht].

Angefangen hat das Ganze im Untergymnasium – damals hat das noch «Untergymnasium» geheissen, mittlerweile nennt man das ja «Sek P» -, wo ich merkte, dass Frauen wohl nicht so mein Ding sind, sondern dass ich Männer eigentlich viel interessanter finde. Für mich persönlich war das nie ein Problem, ich dachte «who cares». Die eigentlichen Probleme begannen, als ich merkte, dass ich mich in einen aus meiner Klasse verschossen hatte. Ich fand dann irgendwann einmal, dass ich ihn ja darauf ansprechen könnte. Mehr als einfach «nein» sagen konnte er ja kaum. Leider wurde daraus ein riesen Drama, das in starkem Mobbing ausuferte, und sich in meinem unfreiwilligen Coming-Out kulminierte.

Dazu kommt, dass ich eigentlich schon immer jemand war, der nicht wirklich gross «Jungs-Interessen» verfolgte. Ich bin auch ohne irgendwelche Gender-Rollen aufgewachsen und meine Eltern haben mir immer gesagt, dass ich einfach tun soll, was mir Freude bereitet. Anscheinend war und ist das aber immer noch nicht die Norm und meine Interessen und Sexualität führten bei meinen Klassenkameraden zu Aussagen wie: «Du redest ja gar nie über Frauen» oder «du spielst ja gar nie Fussball» oder der Klassiker: «du bist ja eh schwul». Irgendwann hielt ich es dann nicht mehr aus und rief zurück: «Nun, dann bin ich halt schwul, ist doch egal». Ich dachte damals, dass das Mobbing so aufhören würde, aber es wurde letzten Endes nur noch schlimmer.

Daraus entwickelten sich dann Depressionen, die zu Suizidgedanken wurde und letztlich in einem tatsächlichen Suizidversuch endete. Das Problem ist halt, dass, wenn dir Leute tagtäglich sagen, dass du es nicht verdient hast zu leben, du das auch zu glauben anfängst.

 

G: Was geschah als Reaktion auf deine Depressionen und den Suizidversuch?

J: Ich verbrachte nach meinem Versuch eine Nacht in einer psychiatrischen Klinik. Das Problem hierbei war, dass es nicht die Kinder- und Jugendpsychiatrie war, sondern die Erwachsenenabteilung, da die Kinder- und Jugendabteilung masslos überfüllt war zu dem Zeitpunkt. Das war eine sehr prägende Nacht für mich, da ich von psychisch stark kranken Erwachsenen umgeben war und in einer Zelle übernachtete, in der man nicht einmal alleine die Fenster öffnen konnte.

Eigentlich hätte ich noch viel länger dortbleiben müssen, aber ich rief dann am zweiten Tag meine Mutter an und sagte ihr, sie solle mich sofort abholen kommen. Gegen die Ratschläge jeglicher Ärzte und Psychologen hat meine Mutter mich dann tatsächlich wieder mit nach Hause genommen. Für das bin ich ihr unglaublich dankbar.

 

G: Was hast du dann unternommen und was tust du heute noch gegen diese Depressionen?

J: Seit damals, also seit gut 8 Jahren, bin ich nun in psychologischer Behandlung; früher noch mehrmals in der Woche, heute noch alle 2 Monate für ein Check-up. Zu Beginn dachte man noch, dass das bloss eine Phase sei. Als aber die Depression auch dann anhielt, als ich die Klasse wechselte und das mit dem Mobbing sich legte, merkte man, dass das Ganze tiefgehender war, wohl auch mit einer genetischen Komponente.

Ich sage immer: Depression ist nicht eine Krankheit, die, wenn du sie einmal hast, einfach wieder weggeht, sondern sie wird dich ein Leben lang begleiten und mit dem muss man umzugehen lernen. Wenn man das schafft, dann kann man genau so gut damit leben wie mit jeder anderen Krankheit auch.

 

G: Du hast einen eigenen Youtube-Channel, auf dem du offen mit der Problematik und deiner Vergangenheit umgehst – was sind die Gründe hierfür und was für Reaktionen erhältst du?

J: Als ich mich in Therapie begab, hiess es, dass ich etwas brauche, das ich gerne mache. Ich habe dann verschiedenstes versucht: Ich zeichnete, ich schrieb viel, ich habe irrwitzig lange Tagebucheinträge verfasst – nur habe ich mir die ganze Situation dort dann meist bloss noch schlimmer geredet [lacht]. Irgendwann merkte ich aber dann, dass ich sehr gerne fotografiere und Videos erstelle, weshalb ich diesen Channel gründete. Das Ganze wurde dann ein wenig zu einer Art öffentlichen Therapie für mich, was vielleicht merkwürdig wirkt, weil man denkt, dass jemand, der Depressionen hat, das mit sich selbst ausmachen muss. Mir aber hat es wirklich geholfen, diese Themen öffentlich anzusprechen, um damit abschliessen zu können. Ich finde es ausserdem extrem wichtig, auch über die Schattenseiten des Lebens sprechen zu können und beispielsweise auf Themen wie Mobbing oder den Fakt, dass Homosexualität auch in einem Land wie unserem immer noch nicht als etwas Selbstverständliches angesehen wird, hinzuweisen. Schon alleine diese Themen öffentlich anprangern zu können, hat mir sehr geholfen.

Als ich mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte, hätte ich mir zudem gewünscht, dass jemand über diese Dinge spricht. Ich erhalte denn auch meist positive Reaktionen und viele sagen mir auch, dass ich ihnen geholfen habe. Natürlich gibt es auch die Haters, die irgendeinen Mist schreiben, den man dann nicht allzu ernst nehmen darf, sondern einfach gleich löschen sollte. Wenn mir jemand «du Schwuchtel» schreibt, dann sehe ich das nicht als Beleidigung; okay, wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, aber was soll’s, dann wirst du einfach gelöscht und Punkt. Einige Leute werfen mir aber auch vor, das Ganze bloss zu Aufmerksamkeitszwecken zu machen und das trifft mich dann schon ein wenig mehr. Schliesslich ist das nicht meine Intention; ich will primär Aufmerksamkeit für das Thema generieren.

 

G: Was muss sich ändern, damit das, was du durchleben musstest, nicht mehr passiert?

J: Ich finde es schwierig, hierauf eine Antwort zu geben. Ich habe das Gefühl, dass es eigentlich zu meiner Schulzeit schon Präventivprogramme gegeben hat. Das Problem ist vielmehr, dass man das als pubertierender Schüler selten wirklich ernst nimmt. Dazu kommt, dass für viele in dem Alter Homosexualität als Beispiel etwas Merkwürdiges ist, was es aber für mich eigentlich nie war. Wahrscheinlich würde es deshalb mehr nützen, bereits in einem jüngeren Alter Aufmerksamkeit für solche Themen zu schaffen.

Es wäre sicherlich auch wichtig, Mobbing intensiver zu beobachten. Wir hatten zwar an unserer Schule schon eine Anlaufstelle, aber die wurde so gut wie nie genutzt. Deshalb sollte der Klassenlehrer am besten die Klassendynamik etwas besser im Auge behalten. Diejenigen, die gemobbt werden, sind schliesslich wahrscheinlich nicht die ersten, die zum Lehrer rennen und ihm sagen, dass sie eben gemobbt werden. Bei mir wurde auch erst reagiert, als ich versucht habe, mir das Leben zu nehmen. Und wenn das auch geklappt hätte, dann wäre das definitiv zu spät gewesen.

 

G: Was würdest du Personen raten, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben?

J: Wichtig ist, dass man sich nicht einreden lässt, dass man das alles nur der Aufmerksamkeit wegen macht oder dass man das alles nur vortäuscht. Ebenfalls wichtig zu wissen, ist, dass es wirklich besser werden kann. Früher konnte man mir das 100 Mal sagen und ich glaubte es damals nicht, aber bei Depressionen ist Zeit tatsächlich ein wesentlicher Faktor. Natürlich ist es auch unerlässlich Hilfe zu suchen. Mir ist das damals nicht so gut gelungen. Häufig hat man nämlich eine Art Tunnelblick: Man sieht nicht mehr nach links oder rechts, sondern nur geradeaus und übersieht die Freunde, die eigentlich da sind und einem helfen würden. Man sollte sich auch nicht zu schade sein, einmal zu einem Psychologen oder Psychiater zu gehen. Das ist zwar unglaublich verpönt, aber das sollte es gar nicht sein. Auch Spitzenpolitiker oder Top-Manager sind teilweise in Therapie.

 

G: Was würdest du Freunden oder Verwandten von betroffenen Personen raten?

J: Das ist eine schwierige Frage, denn ich weiss noch, dass meine Eltern beispielsweise damals nicht wirklich an mich herangekommen sind. Es wäre sicher gut, wenn man der betroffenen Person Anlaufstellen aufzeigt, bei denen sie sich melden kann. Ich finde aber, dass man die Person auch nicht zu arg bedrängen sollte. Darauf zu beharren, dass sie mit dir redet, kann dazu führen, dass sie sich noch mehr verschliesst.

 

G: Gibt es etwas, das du noch abschliessend erwähnen möchtest?

J: An alle, die jemanden kennen, der Depressionen hat: Glaubt nicht, dass diese Person automatisch absolut unfähig ist, am normalen Leben teilzunehmen. Ich bin nun seit gut 8 Jahren in Behandlung und nach einer Auszeit von gerade mal 2 Wochen damals war ich trotz starker depressiver Gedanken wieder ganz normal fähig, am alltäglichen Leben teilzunehmen. Gebt diesen Leuten Mut, anstatt ihnen zu sagen, dass sie nicht am alltäglichen Leben teilnehmen können; und seht in ihnen nicht bloss den Kranken.

Mit der ausdrücklichen Zustimmung von J. verlinke ich hier im Folgenden seinen Youtube-Channel: https://www.youtube.com/user/smileypeacefun

Bullying, Depression and The Struggle For One’s Own Sexuality

 

G: Welcome and thank you for letting me conduct this interview with you.

J: You are very welcome.

 

G: Tell me a bit about yourself – why did you agree to this interview and what is your story?

J: Well, we have known each other for quite a while now, you asked – here I am [laughs].

Everything started in pre-highschool [6th-8th grade], where I realised that women are probably not my thing and that I find men much more interesting. Personally, that was never a problem for me. I thought “who cares”. The actual issues started when I noticed that I had fallen for a guy in my class. I eventually thought that I might as well tell him. I mean, he could not really say anything more than “no”, could he. Unfortunately, this developed into a huge drama, which lead to severe bullying and eventually culminated in my involuntary coming-out.

On top of that, I have always been someone who does not really have “boys-interests”. I also grew up without any gender roles and my parents used to tell me to just do what makes me happy. Apparently, this was and still is not the norm and my interests and sexuality led to statements from my classmates, like: “You never talk about girls” or “you never play football” or the classic: “you are probably gay”. Some day I just could not take it any longer and yelled back: “Well, maybe I AM gay”. At that time, I thought that the bullying would stop but it just got worse and worse.

All of this led to depressions and from the depressions to suicidal thoughts, which eventually ended in an actual suicide attempt. The problem is that if people constantly tell you that you do not deserve to life, you eventually start to believe it yourself.

 

G: What happened as a reaction to your depression and your suicide attempt?

J: I stayed in the psychiatric ward for a night. The only problem was that it was the adult ward instead of the children’s and adolescent’s one as that one was completely overcrowded at that time.

That night has had a lasting effect on me as I was surrounded by mentally very ill adults and slept in a cell where you could not even open the windows on your own. As a matter of fact, I should have stayed there for much longer but I called my mother on the second day and told her to come fetch me immediately. Against the advice of all doctors and psychologists, my mum effectively took me back home again the next day. I am very grateful for that.

 

G: What did you do then and what are you currently doing against the depression?

J: Ever since back then, which is now a good 8 years ago, I have been in psychological treatment; back then several times a week, nowadays once every 2 months for a check-up. In the beginning, they thought that it was just a phase. But when the depression did not get better when I changed classes and the bullying gradually stopped, they realised that it was actually more severe, probably also with a genetical component to it.

I always say: depression is not an illness which just goes away again once you have it but will accompany you for the rest of your life; it is something, you must learn to deal with. If you manage to do this, you can live with it just like you can live with any other illness.

 

G: You have your own Youtube channel, where you address these topics and your past freely – what are the reasons for this and what reactions do you get?

J: When I started therapy I was told that I need something that I like to do. I tried several different things: I drew, I wrote a lot, including ridiculously long diary entries – even though I usually only made everything sound even worse than it actually was [laughs]. However, at some point I realised that I really liked photography and making videos, which is why I created the channel. This eventually became like some sort of public therapy for me, which might seem a bit weird as people usually think that, if you suffer from depression, you should fight against it in private. However, it really helped me to address these topics publicly to be able to put them behind me. Moreover, I find it extremely important to talk about the negative sides of life, too, and to draw attention to topics such as bullying or the fact that homosexuality is still not seen as something natural or normal.

In addition, when I was battling severe depression, I would have wished that someone talked about these things. Usually, I do get positive feedbacks and most people tell me that I was able to help them. Of course, there are always haters, who just write some bullshit, which you should not take too seriously but rather delete immediately. When someone tells me “you faggot”, then I do not really feel offended by that; alright, we do not live in the 19th century anymore, but who cares, you will just get deleted. There have been a couple of people accusing me of doing all of this because of the attention and this does hurt me a bit more; but that is not my intention. I primarily want to raise awareness for the topic.

 

G: What must change so other people do not have to go through the same thing as you?

J: I find it difficult to give an answer to this. I have the feeling that there have already been like preventive programs when I went to school. The problem is rather that as a pubescent student, hardly anyone takes them seriously. In addition, homosexuality, as an example, is still something strange for most kids at that age, even though it never has been for me. That is why it would probably be more useful to generate attention for these kinds of topics at a younger age already.

It is certainly also important to have a more watchful eye on bullying that might be going on in classes. Even though we did have a place to go to, it was hardly ever used. That is why one needs to have a closer look at class dynamics. After all, the person that is being bullied is hardly going to be one running to the teacher, telling him that he is indeed being bullied. In my case, people only reacted once I tried to take my own life. If I had actually succeeded, this would definitely have been too late.

 

G: What would you say to people who are struggling with similar problem?

J: It is important not to let anyone tell you that you are doing it all for attention-purposes or that you are faking it. What is also important to know is that it does get better. Before you could tell me this 100 times and I did not believe it back then but time is a very important factor when it comes to depression. Of course, it is also vital to seek help. I did not really succeed at that at the time. Often, you have like a tunnel vision: You do not look left or right but only straight ahead and you overlook the people that are around and willing to help you. In the end, you should also not be afraid to visit a psychiatrist or a psychologist. I know that this is still frowned upon but it should not be like that. There are top politicians and top managers who attend therapy, too.

 

G: What advice would you give to friends or family who know someone who has these kinds of problems?

J: This is a difficult question because I remember that, for example, my parents had a hard time getting through to me. It would certainly be good to show the person where they can go if they need help. However, I also think that you should not hassle the person concerned. To insist on them having to talk to you can lead to them just closing up even more.

 

G: Is there anything you would still like to say?

J: To all the people out there who know someone dealing with depression: Do not believe that this person is automatically completely unable to participate normally in everyday life. I have been in therapy for 8 years now and after I had taken out time for 2 weeks I was able to participate normally again in day-to-day life despite having severe depressive thoughts. Encourage these people instead of telling them that they cannot participate in daily life and do not just see a sick person in them.

With J's explicit consent I am linking J's Youtube-channel here: https://www.youtube.com/user/smileypeacefun