Eine ehemalige Pflegefachperson Psychiatrie erzählt, Teil 2: Persönliche Erfahrungen

Zu den Höhen und Tiefen des Pflegealltags und dem Thema „Stigmatisierung“

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Lieblingsgetränk: Immer noch Apfelsaft :)

 

G: Wie steht es um die psychische Arbeitsbelastung für Pflegefachpersonen Psychiatrie?

V: Im Allgemeinen ist die Belastung in einer Psychiatrie recht hoch. Beispielweise im Akutbereich, in welchem es Betroffene* mit schweren Psychosen oder in einer akuten Manie gibt oder auch Patient*innen, die sich sehr aggressiv verhalten oder gar suizidgefährdet sind, kann es durchaus vorkommen, dass an einem Tag mehr als eine Behandlung gegen den Willen des Patienten durchgeführt wird.

 

G: Inwiefern führt denn das zu dieser Belastung?

V: Es ist sehr belastend für einen Patienten* oder eine Patientin* gegen den eigenen Willen auf eine geschlossene Station eingeliefert zu werden. Das stelle ich mir zumindest so vor. Jemand hämmert gegen die Türe, es wird herumgeschrien, das Team wartet auf die Polizei – das ist einfach nicht sonderlich angenehm, von aussen mitzuerleben und führt auch zu einer hohen Belastung, besonders für Pflegende mit geringer Erfahrung.

Suizide innerhalb der Klinik sind psychisch sehr belastend. Früher gab es dies in den Kliniken noch häufiger, heute hat dies abgenommen.

 

G: Eine Frage hierzu: Würde man nicht alle Gegenstände, die man potenziell zur Umsetzung suizidaler Absichten benutzen könnte, entfernen, sodass das eigentlich gar nicht vorkommen sollte?

V: Ich denke, früher schickte man psychisch Kranke häufiger und länger in die geschlossene Abteilung. Heute scheint mir die Tendenz eher dahingehend zu sein, kurze Intensivaufenthalte in einem geschlossenen Zimmer durchzuführen. In diesem Zimmer sind dann sämtliche Gegenstände entfernt worden, abgesehen von einer Bodenmatratze und einer Decke sowie einem WC, welches fix montiert ist. Zum Essen erhält der Patient* oder die Patientin* einen Löffel und einen Kartonteller. Bekleidet sind sie mit einem Trainingsanzug. Das ist das Minimum, das abgegeben werden muss. So lässt sich das Risiko natürlich insgesamt schon einmal minimieren.

Ich erlebte Suizidversuche, beispielsweise durch Strangulation oder mit einem Sprung aus dem Fenster. Und diese Ereignisse gehen wirklich „unter die Haut“; nicht zuletzt auch deshalb, weil ich natürlich eine gewisse Verantwortung trage und mir dann jeweils die Frage stelle, ob ich dies hätte verhindern können. Ich selbst musste aber lernen, dass man einen Suizid nie komplett verhindern kann – nirgendwo. Auch wir nicht. Ansonsten müsste eine rund-um-die-Uhr Überwachung mit Sichtkontakt sichergestellt werden. Und das ergibt keinen Sinn.

 

G: Wie geht das Pflegepersonal mit solchen Situationen um?

V: Früher sprach man da nicht wirklich darüber. Ich musste es einfach irgendwie auszuhalten lernen, einen Weg finden, das Ganze für mich selbst zu verarbeiten. Mittlerweile gibt es aber Teams, die nach solch einem Vorfall zusammenkommen, auch mit den Patient*innen auf den Stationen, um darüber zu reden. Diese Gespräche werden hierbei ärztlich begleitet. Da ist es natürlich hilfreich, wenn jemand schon gewisse Erfahrungen im Umgang mit solchen Situationen gemacht hat. Diese Person kann dann den anderen mitteilen, wie es ihr dabei ergangen ist, auch wenn es etwas morbid klingt.

 

G: Gibt es noch andere Quellen von Belastung für das Pflegepersonal?

V: Da gehören sicherlich Personalengpässe dazu: Wenn Personal auf andere Stationen abgezogen wird oder Stellen unbesetzt bleiben, sei es, weil diese vakant sind oder weil die betreffenden Personen beispielsweise in den Ferien oder an einer Weiterbildung sind. Dann nimmt der Zeitdruck zu, ich muss im Verhältnis mehr Verantwortung übernehmen und das führt zu einer grösseren Belastung, besonders auf Stationen, wo die Betreuung intensiv ist. Daraus resultiert auch, dass vermehrt Fehler passieren und unter Umständen sogar eine sogenannte «gefährliche Pflege» die Konsequenz ist: Dass ich nur noch für das Allernötigste sorgen kann, was zu Risiken von Schäden der Betroffenen* führen kann. Ein Beispiel hierfür, das aber sehr selten vorkommt, wäre, wenn jemand an einem Gurtenbett fixiert ist. Das ist schon für sich ein absoluter Ausnahmefall. Auf jeden Fall gehört dort aber eine Sitzwache dazu, die die betroffene Person ständig überwacht und begleitet. Ich habe Situationen erlebt, in denen diese Sitzwache gefehlt hat und jemand einfach jede Viertelstunde einmal vorbeikam, um nach dem bzw. der Betroffenen* zu schauen. Und das ist schlicht falsch. Eine solche Fahrlässigkeit kann sogar rechtlich verfolgt werden.

Je nach Teamzusammensetzung gibt es natürlich auch einfach personelle Konflikte, wenn es Anspannungen im Team gibt. Diese Zeit, die ich da verschwende, sollte eigentlich den Patient*innen zukommen.

Nicht zu unterschätzen sind auch die unregelmässigen Arbeitszeiten. Als Pflegefachmann oder Pflegefachfrau bin ich rund um die Uhr tätig. Dadurch kann der eigene Tag-Nacht-Rhythmus unterbrochen werden, Mahlzeiten verschieben sich und die sozialen Kontakte leiden, weil ich beispielsweise am Morgen frei habe, während Freunde oder Angehörige arbeiten; oder aber ich habe dann am Wochenende Dienst.

Zuletzt kann es auch belastend sein, Patient*innen zu behandeln, bei welchen ein Klinikaufenthalt nur sehr geringe Wirkung zeigt; bei schwer Depressiven, beispielsweise, die eine sehr lange Genesungsphase haben.

 

G: Auf deine letzte Aussage bezugnehmend: Kann das belastend sein, weil diese Personen einfach so lange da sind oder aber, weil man vielleicht das Gefühl hat, etwas falsch zu machen?

V: Es kann belastend sein, wenn sich trotz verschiedenen Therapieversuchen kaum ein sichtbarer Erfolg einstellt.  Dies zerrt an den eigenen Kräften. Vielleicht glaube ich aber auch nur, dass meine Bemühungen keine Wirkung zeigen. Trotzdem gibt es einzelne Patient*innen, die drei, vier oder gar fünf Monate hospitalisiert sind und fast nicht vorankommen. Besonders bei schwer depressiven Patient*innen hatte ich persönlich das Gefühl, dass sich eine Art Vakuum bildet, das dir selbst viel Energie raubt. Es gibt tatsächlich auch Pflegepersonal, das nicht mit depressiven Personen umgehen kann, gerade weil sie dies schlicht nicht ertragen.

 

G: Hast du eine Ahnung, weshalb das so sein könnte?

V: Ich denke, es gibt einfach für jeden eine Klientel, welche dir mehr oder weniger zusagt. Z.B. im Intensivbereich, wo es oft ein steter Betrieb ist, kann es sehr spannend sein, zu arbeiten. Wenn ich aber oft „den Motor anwerfen“ muss, kann dies auf die Dauer kräfteraubend sein.

 

G: Wie stehst du zum Thema Stigmatisierung von psychisch Kranken?

V: Vorurteile gegenüber psychisch Kranken erschweren die Behandlung massiv. Sie sind gehemmter Hilfe zu suchen und zu sagen: «Ich habe ein psychisches Problem». Es erschwert auch die Akzeptanz einer Diagnose und die Mitarbeit in der Behandlung.

 

G: Wieso denn genau? Weil sich betroffene Personen gar nicht erst melden, weil sie Vorbehalte haben oder wegen etwas anderem?

Prinzipiell wehren sich Betroffene nicht gegen eine Behandlung. Vorurteile lasten aber wie eine zweite Krankheit auf der betroffenen Person. Es ist aber auch möglich, dass sie aus Scham erst spät oder gar keine Hilfe akzeptieren.

Natürlich können solche Vorurteile auch im Freundeskreis oder bei der Arbeit belastend wirken. Viele wissen nicht, wie sie mit solchen Betroffenen* umgehen sollen und die betroffene Person selbst fühlt sich dann nicht verstanden. Andererseits ist es nicht einfach, damit umzugehen, dies dürfen man nicht vergessen.

Nicht zuletzt können so bei Betroffenen suizidale Tendenzen verstärkt werden, gerade wegen der oben genannten Gründe.

 

G: Gibt es bestimmte Vorurteile gegenüber psychisch Kranken oder einer psychiatrischen Klinik, die du selbst als widerlegt siehst?

V: Ein Vorurteil, das ich überhaupt nicht bestätigt gesehen habe, ist, dass psychisch Kranke sehr häufig Gewalt- oder Sexualstraftäter sind. Das wird in den Medien häufig in denselben Topf geworfen und das stimmt mich persönlich sehr traurig.

 

G: Ich denke, man hat halt auch unter den psychisch Kranken einfach das ganze Menschenspektrum. Klar kann es da auch Straftäter darunter haben, aber nicht jede*r psychisch Kranke*r ist auch ein*e Straftäter*in.

V: Das ist sicherlich so. Studien zeigen, dass innerhalb einer Klinik nicht prozentual mehr Straftäter*innen gibt oder mehr Gewalt stattfindet als ausserhalb einer Klinik.

Auch die Aussagen, dass psychisch Kranke Simulant*innen oder Schmarotzer*innen seien oder dass Betroffene* nur eine IV-Rente erreichen wollen, sind einfach nur verletzend.

 

G: Hat man dann auch noch eine IV-Rente ist man ja gleich doppelt stigmatisiert.

V: Genau.

Ein weiteres Vorurteil, dem ich häufig begegnet bin, ist, dass psychisch Kranke im Gesundheitswesen hohe Kosten verursachen. Nun, im Gesundheitswesen ist nichts mehr günstig. In einer Klinik gibt es dazu auch nicht solch teure Untersuchungen wie in einem allgemeinen Spital. Klar, die Personalkosten sind hoch, jedoch im Vergleich nicht höher als in einem allgemeinen Spital. Die Kosten medikamentöser Behandlungen sind nicht ausgenommen und sind im allgemeinen Rahmen.

Bei diesem Thema bleibend: Ein weiteres Stigma ist, dass Betroffene* mit Medikamenten nur ruhiggestellt würden. Ja, sie werden auch ruhiggestellt, aber dafür muss auch ein entsprechendes Ziel und Problem vorhanden sein, um grossen Leidensdruck zu lindern. Stell dir vor, jemand hat starke Verfolgungsängste: Es macht durchaus Sinn, in dem Moment ein Medikament so zu dosieren, dass die betroffene Person zumindest für eine Weile entspannt ist. Dass aber einfach alle «runtergespritzt» werden, stimmt schlicht nicht.

Hierzu passt auch die Aussage: «Psychopharmaka machen abhängig». Das stimmt nicht, denn Psychopharmaka sind nicht wie Beruhigungs- oder Schmerzmittel, die abhängig machen.

Zuletzt noch: Etwas, das auch so gut wie gar nicht mehr vorkommt, sind Elektrobehandlungen. Ich begleitete diese einst vor 30 Jahren, heute aber werden entsprechende Krankheiten medikamentös therapiert. Trotzdem hält sich dieses Bild weiterhin hartnäckig in den Köpfen der Bevölkerung.

 

G: Nun die Gegenfrage: Gibt es Vorurteile, die du bestätigt gesehen hast?

V: Beispielsweise die Aussage, dass Betroffene* gegen ihren Willen behandelt werden. Dies ist die letzte Massnahme, die ein Behandlungsteam ergreift, aber sie wird ab und an ergriffen. Bis es so weit kommt, versucht das Behandlungsteam allerdings die Mitarbeit des Patienten* oder der Patientin* zu gewinnen. Schliesslich müssen für eine Behandlung gegen den Willen des/ der Betroffenen* triftige Gründe vorliegen und die Behandlung muss auch rechtlich abgesichert sein. Die Gesetzgebung wurde in den letzten Jahren wirklich zu Gunsten des Klienten*/ der Klientin* verschärft. Heutzutage muss ein Arzt eine fürsorgliche Unterbringung beantragen und das Familiengericht muss dann eine Entscheidung treffen. Ohne diese kann jemand auf ärztlichen Entscheid hin lediglich 72 Stunden gegen seinen Willen in einer Klinik zurückgehalten werden. Anschliessend muss die betroffene Person ansonsten entlassen werden.

Was auch stimmt, ist, dass es überfordertes und ungeeignetes Personal innerhalb der Klinik gibt. In meiner Laufbahn habe ich mit Personen zusammengearbeitet, die besser nicht dort gearbeitet hätten, weil ihnen das Gespür für psychisch kranke Menschen fehlte. Das Machtgefälle kann auch  immer ein Problem sein. Es gab Angestellte*, die überfordert waren und ihre Macht ausnutzten, die auch physisch beispielsweise in einem Zimmer von oben auf den Patienten* oder die Patientin* hinabschauten. Für mich war es immer wichtig, mit dem Patienten* oder der Patientin* auf gleicher Ebene zu reden; mich auch physisch hinzuknien, wenn es sein musste, oder auf den Boden zu setzen, damit ich nicht auf sie hinabschaute.

Es gäbe sicherlich auch noch andere bestätigte Vorurteile, aber das sind die, die mir selbst eingefallen sind.

 

G: Was rätst du jemandem, der sich überlegt, in eine Klinik zu gehen?

V: Betroffene* sollten sich zuerst fragen, was sie verlieren können, wenn sie in eine Institution eintreten. Persönlich denke ich, dass man nichts verlieren, sondern nur eine Erfahrung gewinnen kann. Dazu ist eine vorzeitige Abklärung sicherlich vorteilhaft; das bedingt auch nicht, dass man sich gleich stationär einweisen lassen muss.

Es ist sicher schwer für den Betroffenen* bzw. die Betroffene*, wenn er* oder sie* selbst entscheiden muss, ob er* oder sie* sich einweisen lassen möchte. Da stehen einem viele Vorurteile gegenüber und das macht eine Entscheidung schwierig. Es gibt Betroffene*, die deshalb lange unbehandelt bleiben und das wirkt sich ungünstig auf die Genesung aus. Deshalb: Betroffene* sollten sich, wenn möglich, nicht von Vorurteilen in ihrer Entscheidung beeinträchtigen lassen, denn eine frühzeitige Abklärung und Behandlung erhöht die Heilungschancen wesentlich.

Deshalb sollten betroffene Personen sich zuerst in ihrem Umfeld umsehen: Gibt es vielleicht gute Freund*innen, Vertrauenspersonen, einen Hausarzt* oder Hausärztin*, an die man sich wenden könnte und was würden sie mir empfehlen? Hier ist es natürlich wichtig, dass die betroffene Person ihre Probleme offen und genau ansprechen kann. Man kann beispielsweise mit dem Hausarzt* oder der Hausärztin* darüber beraten, ob vielleicht eine ambulante Behandlung eine Option ist. Auch ist es möglich, die Klinik vorab zu besichtigen. Dies kann ich eigentlich jedem nur empfehlen. An dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass die meisten Menschen freiwillig in eine Klinik eintreten und bei einem solchen kann man jederzeit wieder austreten.

Eine fürsorgerische Unterbringung wird dagegen wirklich nur in Ausnahmefällen beantragt; z.B., wenn eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt.

 

G: Gab es in deiner Pflegelaufbahn besonders schöne Momente?

V: Es gab vor allem lustige Momente. Einmal kam ich beispielsweise in ein Zimmer rein und eine Patientin war gerade dabei, ihrer Kollegin Lockenwickler in die Haare zu drehen. Ich fragte dann: «Und wann komme ich dran?». Das war schon recht lustig.

Auf der Geriatrie passierte einmal etwas Ähnliches. Nur leider hat die betreffende Person dort die Lockenwickler verkehrt eingewickelt und ihre Kollegin sah dann etwa aus wie ein Pudel.

Humor gehört dazu. Manchmal ist es zwar vielleicht ein etwas tragischer. Eines Morgens warf beispielsweise ein älterer Patient Brotstücke gegen das Bettgitter eines Mitpatienten. Als ich ihn daraufhin fragte, was er da tue, meinte er: «Ja, aber der Löwe braucht doch etwas zu essen». Er meinte wohl, er sei im Zoo.

Ein weiteres, dieses Mal aber schönes Erlebnis: Einmal war auf unserer Station eine Patientin in eine Krise geraten und weinte. Während des Gesprächs, das ich mit ihr führte, suchte sie Taschentücher und konnte keine finden. Ich schenkte ihr mein Taschentuch (Natürlich sauber und frisch gebügelt).

Einige Jahre später kam sie wieder für eine Behandlung in die Klinik. Leider erkannte ich sie nicht gleich, aber sie erzählte mir dann diese Geschichte und dass sie mein Taschentuch aufgehoben habe.

Eine weitere Patientin strickte einen Pullover, aber es fehlte ihr dafür eine spezielle Stricknadel. Ich durchkämmte mehrere Stationen und wurde so schliesslich fündig. Sie freute sich sehr und bei ihrem Austritt schenkte sie mir himmelblaue Bettsocken, welche sie noch gestrickt hatte (Ich habe sie allerdings nie getragen!).

 

G: Was kann gegen die vorherrschende Stigmatisierung psychisch Kranker vorgenommen werden?

V: Das ist natürlich nicht ganz einfach. Wichtig ist sicherlich, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren – Informationen über den heutigen Aufenthalt in einer Klinik und allgemeine Behandlungsmöglichkeiten zu verbreiten. Tage der offenen Tür oder die Aktionstage psychische Gesundheit, Bazare oder Märkte sind sicherlich auch eine gute Möglichkeit, die wir unterstützen müssen. Eine Idee wäre es auch, negative Schlagzeilen in einer Zeitung mit einem Leserbrief zu beantworten. Oder im Bus [beispielsweise auf den BSU-Linien in und um Solothurn] gibt es ja auch diese kleinen Bildschirme, auf denen Werbung gezeigt wird – wieso nicht dort einmal Infos zu psychischen Krankheiten aufschalten?

Grundsätzlich finde ich, dass wir die Arbeitsgeber*innen, Vorgesetze* usw. mehr für das Thema sensibilisieren müssen; dass wir auch in den Schulen ein Modul oder etwas in der Art anbieten sollten, um so schon früh ein Bewusstsein für die Thematik und ein gutes Versorgungssystem zu schaffen.

Etwas, das ich auch sehr gut finde, sind Selbsthilfegruppen für Betroffene* wie für Angehörige*. Das kann für beide Seiten ein Gewinn sein.

 

G: Was für eine Tendenz siehst du in Bezug auf psychische Krankheiten, die Stigmatisierung, Behandlungen etc.?

V: Ich persönlich denke, dass die Anzahl der Klinikaufenthalte insgesamt steigen, die Dauer des Aufenthalts aber sinken wird.

Die ambulante Versorgung wird sicherlich auch deutlich zunehmen. Das, finde ich, ist eine gute Zwischenlösung, da Betroffene so mehr Verantwortung übernehmen müssen. Psychiatrische Stationen werden in allgemeine Spitäler integriert; viele Betroffene fühlen sich hier befreiter als an einen Ort, der explizit mit «Psychiatrie» angeschrieben ist.

Ich persönlich denke auch, dass es zwar einen harzigen Abbau der Stigmatisierung geben wird – aber dass es ihn dennoch geben wird. Meine Begründung hierfür ist vielleicht etwas merkwürdig: Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Druck wird zunehmen. Das wird mehr und mehr Menschen überfordern und psychische Krankheiten werden deshalb immer mehr Menschen betreffen. Gerade weil diese Krankheiten also verbreiteter sein werden, werden sie wahrscheinlich auch eher akzeptiert werden. Entsprechend werden Betroffene* sich viel häufiger finden.

 

Bald gibt es den dritten und letzten Beitrag in dieser dreiteiligen Mini-Serie: „Alltag und Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik – ein ehemaliger Pfleger erzählt“. V* wird im letzten Beitrag beispielhaft die Betreuung eines Falls schildern, wie dieser in seiner Karriere hätte vorgekommen sein.