„Ich kämpfe darum, dass man nicht davon spricht, dass ein Mensch eine Diagnose ist, sondern eine Diagnose hat – genauso, wie jemand einen Beinbruch hat und nicht ein Beinbruch ist.“

Borderline – ein scheinbar plötzlicher Krankheitsausbruch und der steile Weg zurück ins Leben

Kathia_unbearbeitet

Lieblingsgetränk: Ovo

G: Liebe K, möchtest du dich ganz kurz vorstellen?

K: Ich bin 34 Jahre alt und stolze Dreifach-Tante. Ich habe Sportwissenschaften studiert und anschliessend die Physiotherapie-Schule angefangen. Ganz allgemein nimmt der Sport eine zentrale Rolle in meinem Leben ein; am liebsten bin ich draussen oder in den Bergen.

G: Welche Art von Sport machst du denn?

K: Ich habe sehr lange Kajak auf Wettkampflevel gefahren, aber jetzt ist es vor allem das Bergsteigen. Mir gefallen aber ganz viele verschiedene Sportarten. Beispielsweise habe ich sehr lange Eishockey gespielt, heute sieht man mich oft auf dem Rad, beim Joggen oder manchmal beim Schwimmen. Ich mache fast alles ausser Tanzen… Alles, ausser diejenigen Sportarten, bei denen man elegant sein muss [lacht].

G: Du hast bei einem Projekt mitgemacht, das die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten von psychisch Erkrankten und «normalen» Menschen beleuchtet. Der Grund hierfür ist deine Diagnose einer Borderline-Erkrankung. Kannst du vielleicht kurz sagen, worum es sich bei der Krankheit handelt?

K: Borderline ist eine Persönlichkeitserkrankung, die durch emotionale Instabilität gekennzeichnet ist. Wir sind Menschen, die ständig unter Spannung stehen und unsere Emotionen sehr stark wahrnehmen. Wir sind daher immer etwas auf der extremeren Seite vom Erlebten her. Diese Spannung auszuhalten ist hierbei sehr schwierig. Für mich fühlt es sich jeweils so an, als würde ich von einer Walze überrollt.

Grundsätzlich gibt es 9 diagnostische Kriterien, von denen 5 für eine Diagnose erfüllt sein müssen. Diese Kriterien betreffen beispielsweise den Umgang mit den eigenen Emotionen, beinhalten aber auch ein erhöhtes Suchtpotenzial, eine Mühe mit Beziehungen – das ist der Teil, der bei mir zum Glück nicht vorhanden ist –, oftmals auch eine extreme Wut. Dissoziative Zustände können auch Teil der Erkrankung sein. In Abgrenzung zu einer Psychose fühle ich mich aber zwar beispielsweise extrem beobachtet, weiss aber, dass das eigentlich nicht stimmt. Jemand mit einer Psychose hingegen kann diesen Unterschied nicht mehr machen.

«Borderline» ist mittlerweile leider etwas zu einem Modewort verkommen. Manchmal wird das Wort heute von Menschen in Anspruch genommen, die sich vom Mainstream abheben wollen und man hat oft das Gefühl, dass jeder Teenager, der sich selbstverletzt, automatisch Borderline hat. Aber Borderline ist, wie schon gesagt, eine Persönlichkeitserkrankung und deshalb sollte man einen Teenager, der ja noch in der Persönlichkeitsentwicklung steht, nicht allzu voreilig diagnostizieren.

G: Wieso überhaupt «Borderline»?

K: Die Bezeichnung «Borderline» kommt ursprünglich daher, dass man früher nicht gewusst hat, ob es sich bei der Erkrankung um eine Neurose oder eine Psychose handelt, da das Bild des Borderliners Elemente beider Erkrankungen enthält.

G: Wie hat die Krankheit bei dir angefangen?

K: Bei mir hat das Ganze mit dissoziativen Anfällen in der Physioschule angefangen. Ich war dann jeweils plötzlich nicht mehr ansprechbar, bewusstlos, hatte Krampfanfälle, teilweise 2-3 Stunden lang. Man hat natürlich zuerst gedacht, dass das vielleicht epileptische Anfälle wären, hat dann aber schliesslich nach langer Abklärung festgestellt, dass die Anfälle psychisch bedingt sind. Solche Anfälle sind recht typisch für diese Erkrankung, vielleicht einfach nicht gerade in dem Ausmass, in dem ich sie hatte. Aber das Hirn macht dann quasi einen Kurzschluss, einfach, um sich selbst zu schützen.

Ich habe dann auch angefangen, mich zu schneiden in Momenten, in denen ich extrem gestresst war und nicht mehr mit dem Druck umgehen konnte.

G: Was mich Wunder nimmt – wie hat man überhaupt herausgefunden, dass deine Anfälle psychischen Ursprunges sind?

K: Die Diagnose wurde primär nach dem Ausschlusskriterium gestellt. Ein entscheidender Faktor war auch, dass ich mich angefangen habe zu ritzen. Da hat man sich dann schnell auch überlegt, ob die Anfälle nicht psychischen Ursprunges ist.

G: Gab es irgendwie einen bestimmten Punkt, an dem die Krankheit ausgebrochen ist oder hat sich das Ganze eher schleichend entwickelt?

K: Das ist eben das Interessante. Ich bin ans Collège gegangen, habe Wettkampfsport betrieben, ich hatte einen Freund, wir hatten ein Haus… Ich war eigentlich völlig normal und stand mitten im Leben und plötzlich, von 0 auf 100, hat das angefangen. Je länger ich mich dann aber mit der Krankheit auseinandergesetzt habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass sie eigentlich schon lange da war.

Ich denke, bei mir hat besonders die erhöhte Sensibilität und Emotionalität früh angefangen. Ich war auch ein sehr ängstliches Kind. Und schon bald kamen die Identitätsstörungen hinzu: Ich war zum Beispiel als Kind überzeugt, dass ich eigentlich ein Junge bin, und als ich dann akzeptiert hatte, dass ich ein Mädchen bin, wusste ich lange Zeit auch nicht, ob ich eigentlich lieber Frauen oder Männer mag. Je länger, dass ich mich damit auseinandersetze, desto mehr merke ich, dass all das Komische an mir plötzlich einen Namen erhält.

Darüber hinaus wurde ich in der Oberstufe drei Jahre lang recht heftig gemobbt, einfach weil ich anders war. Im Collège kam dann auch noch ein sexueller Missbrauch hinzu. Ich habe dann nach diesem Vorfall 6 Jahre eigentlich ganz normal mein Leben gelebt bis dann diese Krankheit ausgebrochen ist.

G: Weisst du, wieso eine so lange zeitliche Distanz dann zwischen diesen Erlebnissen und dem Ausbruch der Krankheit besteht?

K: Ich glaube einerseits hat das damit zu tun, dass sich die Persönlichkeit in diesem Alter immer noch am entwickeln ist. Andererseits denke ich auch, dass ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht bereit gewesen wäre, das Ganze anzugehen. Ich denke, es war eine Art Eigenschutz.

G: In dem Sinne hast du diese Erfahrungen also einfach verdrängt?

K: Ich glaube «verdrängt» ist das falsche Wort. Sie haben einfach nicht existiert und diese Erfahrungen haben mich irgendwie auch nicht im Alltag beeinflusst. Erst als ich dann in der Physioschule auch mit männlichen Patienten zusammenarbeiten musste, hatte ich plötzlich Flashbacks und da hat sich das dann gezeigt. Ich denke, dass mein Körper einfach irgendwann reagiert hat, weil ich ihm selbst nie das Wort überlassen und mich mit diesen Erfahrungen auseinandergesetzt habe.

G: Steht hinter einer Borderline-Erkrankung immer auch ein traumatisches Erlebnis oder kann die Erkrankung quasi auch spontan ausbrechen?
K:
Genau weiss ich es nicht, aber ungefähr 80% der Erkrankten haben ein traumatisches Erlebnis wie Mobbing oder physischen, sexuellen oder psychischen Missbrauch hinter sich. Ich habe persönlich bisher aber noch keinen Borderliner getroffen, der nicht irgendein traumatisches Erlebnis hinter sich hat.

G: Die Krankheit kann, so sagt man, besonders am stärkeren Ende des Spektrums ja recht invalidisierend sein – inwiefern würdest du dem zustimmen?

K: Ich finde die Krankheit sehr invalidisierend, besonders auch, weil es keine Heilung gibt, sondern man nur lernen kann, mit ihr umzugehen. Ich stehe eigentlich konstant unter Anspannung, erlebe extreme Emotionen und starke Ängste. Das führt auch dazu, dass ich meinen Alltag sehr gut durchplanen muss. Wenn ich beispielsweise am morgen in die Therapie gehe, dann muss ich meinen Nachmittag so planen, dass ich dann nicht noch den öffentlichen Verkehr benutzen oder einkaufen gehen muss, weil ich weiss, dass das dann einfach zu viel wäre. Alltägliche Dinge wie den Briefkasten zu leeren, Telefonate zu erledigen, eben beispielsweise den Bus zu benutzen oder einzukaufen… Das sind Dinge, die für mich viel Stress produzieren und die deshalb auch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Was darüber hinaus eben auch recht invalidisierend ist, ist das mittlere Umfeld. Von aussen sieht man mir nichts an, ausser ich laufe gerade im T-Shirt rum und man sieht meine Narben. Man sieht dann nur: «Ah, die Frau ist am Morgen joggen gegangen und am Nachmittag fährt sie mit dem Fahrrad rum». Dabei bin ich am Morgen joggen gegangen, damit ich einkaufen gehen konnte und am Nachmittag bin ich Fahrrad fahren gegangen, um anschliessend in die Therapie gehen zu können. Das Verständnis fehlt einfach nach wie vor und man wird schnell verurteilt für etwas, nur weil man es nicht kennt. Dabei ist es für mich Arbeit, den Alltag bewältigen zu können und Arbeit, überhaupt aus dem Bett zu kommen. Ich stehe denn auch jeden Tag zwischen 5 und 6 Uhr auf und nur weil ich dann nicht mit dem Bus zur Arbeit fahre und den ganzen Tag im Büro sitze, heisst das nicht, dass ich nicht auch arbeite.

Nicht zuletzt kann es auch invalidisierend sein, wenn ich eben im T-Shirt rumlaufe und dann angestarrt werde. Und auch der Fakt, dass ich IV und Ergänzungsleistungen beziehe, ist manchmal schwierig für mich.

G: Du hast erwähnt, dass es besonders auch die Reaktionen und die Behandlung derjenigen Menschen, die dich vielleicht nicht so gut kennen, sind, die schwierig für dich sind. Wie würdest du dir wünschen, dass diese Menschen mit dir umgehen?

K: Ich fände es manchmal gut, wenn die Menschen mehr Fragen stellen würden. Man kann ja durchaus fragen: «Du kannst an drei Tagen joggen gehen, wieso kannst du also nicht auch drei Tage die Woche arbeiten?». Aber dann fände ich es schön, wenn die Personen auch offen wären, mir zuzuhören, wenn ich ihnen erkläre, weshalb das eben nicht geht. Generell fände ich es schön, wenn es mehr Interesse ohne gleichzeitige Verurteilung oder Wertung gäbe. Ich habe einfach im Verlauf der Zeit gemerkt, dass sehr viel Verständnis da ist, sobald ich mich erklären kann. Aber zuerst wird man oft einfach sehr schnell verurteilt.

G: Wie hat dein näheres Umfeld reagiert, insbesondere auch, als die Krankheit frisch ausgebrochen ist?

K: Der Ausbruch war natürlich für alle heftig. Meine Familie und auch mein Ex-Freund haben damals sicherlich extrem gelitten. Das Problem war natürlich auch, dass man am Anfang keine Krankheitseinsicht hat. Ich habe damals gedacht: «Ja, ich kann schon in Therapie, aber ich verstehe nicht ganz, was euer Problem ist…» bis ich dann erst realisiert habe, dass es wirklich nicht mehr geht.

Es war für uns alle auch nicht einfach, mit meinem selbstverletzenden Verhalten umzugehen. Da kam dann jeweils schon sehr viel Kritik und auch viele Vorwürfe. Als dann am Schluss die Diagnose kam, war es sicherlich für jeden von uns eine Erleichterung.

G: Du sagst, du hättest zu Beginn keine Krankheitseinsicht gehabt. Wie kam es dann dazu, dass du gemerkt hast, dass du Hilfe brauchst?

K: Das ist ein Schritt, den niemand beeinflussen kann. Wieso, dass ich es plötzlich geschafft habe, diesen Schritt zu machen, weiss ich nicht genau. In der Schule kam irgendwann der Moment, wo ich diese Realisation hatte, insbesondere, da ich mich vor jeder Prüfung schnitt. Ich glaube, das liegt daran, dass ich irgendwann gemerkt habe, dass ich mich selbst nicht mehr im Griff hatte. Die Anfälle wurden immer häufiger, das selbstverletzende Verhalten immer schlimmer…. Es war wirklich einfach nicht mehr kontrollierbar und diese Erkenntnis, dass man seinen eigenen Körper und seine eigenen Gedanken nicht mehr im Griff hat, macht einem schon sehr grosse Angst.

G: Die Borderline-Störung ist auch mit sehr vielen Vorurteilen behaftet. Beispielsweise hört man oft, dass diese Menschen besonders manipulativ sind. Gibt es Vorurteile, die du vielleicht bestätigen kannst oder aber Vorurteile, die dich besonders stören?

K: Eine Borderline-Erkrankung kann sich auf viele verschiedene Arten zeigen. Ich persönlich habe beispielsweise dieses Manipulative oder auch diese starken Beziehungsprobleme nie gehabt, deshalb weiss ich nicht genau, inwiefern ich Vorurteile bestätigen kann, aber es ist natürlich schon so, dass zum Beispiel viele Therapeuten explizit nicht mit Borderlinern zusammenarbeiten wollen.

Ich möchte einfach nicht, dass man uns alle in denselben Topf schmeisst. Es gibt Borderliner, die haben grosse Probleme mit Spannungszuständen, manche, die haben Probleme damit, Beziehungen einzugehen, aber jeder von uns ist letztlich anders. Manchen sieht man es an, manchen nicht. Manche waren schon in der Psychiatrie, andere noch nie in Behandlung. Ich finde es deshalb viel wichtiger, den Menschen dahinter zu sehen und die Person nicht schon von Anfang an zu verurteilen.

G: Du hast gesagt, dass Borderline sich sehr unterschiedlich präsentieren kann und entsprechend auch nicht immer gleich therapiert wird. Wie hat sich das Ganze bei dir entwickelt?

K: Ich habe in einer Tagesklinik angefangen, ehe ich dann ein Weilchen nur noch stationär in Behandlung war. Ich war dann auch ewig lange in der geschlossenen Psychiatrie, bevor ich einen Platz in einer auf Borderline spezialisierten Klinik bekam. Ganz zum Schluss war ich dann eine Weile in einem Heim und mittlerweile bin ich einfach ambulant in Behandlung, wo ich verschiedene Medikamente bekomme und regelmässig eine kognitive Verhaltenstherapie besuche.

G: Hat es dir auch geholfen, dich mit anderen auszutauschen, die etwas Ähnliches haben?

K: Nein, eigentlich nicht wirklich. Besonders, wenn mir jemand mit Selbstverletzungen begegnet ist, hat mich das jeweils sehr getriggert. Das ist fast ein wenig wie mit Drogen. Wenn man jemanden sieht, der sich gerade selbstverletzt hat, denkt man dann gerne: «Hmm, das täte jetzt schon gut». Ich habe zudem einfach auch gemerkt, dass jeder seine eigenen Baustellen hat und die Baustellen von mir nicht deine sind und deine halt eben auch nicht meine.

G: Eine sehr plakative Frage: Bei Borderline handelt es sich ja um eine Persönlichkeitsstörung – wo fängst also du an und wo hört die Störung auf?

K: Das finde ich eine gute Frage, denn ich kämpfe darum, dass man nicht davon spricht, dass ein Mensch eine Diagnose ist, sondern eine Diagnose hat – genauso, wie jemand einen Beinbruch hat und nicht ein Beinbruch ist. Gleichzeitig rede ich natürlich aber auch immer von mir als «Borderlinerin», weil die Störung mich schon durch den Alltag begleitet. Ich nehme keinen Aufzug, ich habe Mühe einzukaufen und im Zug zu sitzen, stresst mich sehr. Nichtsdestotrotz verstehe ich mich als Person mit einer Erkrankung und nicht als Erkrankung.

Was ich auch gemerkt habe, ist, dass ich in den Bergen meine Diagnose irgendwie zurücklassen kann. Dort eben bin ich einfach ich.

G: Du hast eine sogenannte Peer-Ausbildung gemacht, durch die du anderen Menschen, die unter ähnlichen Erkrankungen leiden, hilfst. Wie ist es dazu gekommen?

K: Ich habe lange irgendwie keine Zukunft haben können und auch keine haben wollen. Aber plötzlich sah ich wieder ein morgen und dann offenbarte sich mir eine riesige Leere. Denn was konnte ich schon noch sein? Sportlehrerin zu sein, ging nicht mehr, die Physioschule zu beenden, stand ebenfalls nicht mehr offen… Ich hatte keine Ahnung mehr, was aus mir werden sollte. Deshalb nahm ich dann eine Auszeit und arbeitete eine Weile auf einer Alp mit Geissen. Kurz bevor ich zur Alp ging, hörte ich dann von dieser Ausbildung. Auf der Alp habe ich mich schliesslich damit befasst und gemerkt, dass mir das durchaus gefallen würde und dass das auch eine Gelegenheit darstellen könnte, aus mir herauszukommen. Ich konnte dann glücklicherweise die Schule machen und vor rund einem Jahr die Prüfung zum Peer ablegen.

Das Schönste an dieser Ausbildung war, dass sie meiner Krankheit irgendwie einen Sinn gab, denn obwohl all diese Erfahrungen sehr schmerzhaft gewesen sind, können sie dennoch wertvoll sein. Sie können vielleicht anderen helfen. Und selbst wenn ich nicht immer sofort helfen kann, kann ich vielleicht doch immerhin indirekt Hoffnung vermitteln. Dazu kann man als Peer auch viel zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen, denn das Thema ist immer noch ein grosses Tabu. Und was ein Tabu ist, darüber redet man nicht und worüber man nicht redet, das führt wieder zu Vorurteilen.

G: Was beinhaltet so eine Peer-Ausbildung und was macht man dann als Peer?

K: Das Ganze ist in verschiedene Module eingeteilt, aber der Kern der Sache ist, zu lernen, wie man die eigenen Erfahrungen nutzen kann, um anderen zu helfen.

Die Arbeit als Peer beinhaltet einerseits die Arbeit mit Patienten, beispielsweise in psychiatrischen Einrichtungen, aber andererseits auch viel Aufklärungsarbeit.

G: Du bietest auch eine Art wandernde Gesprächsgruppe an, wo man nicht zusammen in einen Raum sitzt und redet, sondern stattdessen gemeinsam spazieren geht und da dann ein Gespräch anfängt. Wie hat sich das ergeben?

K: Ich habe einerseits eine starke Angst vor geschlossenen Räumen. Andererseits kann es extrem unangenehm sein, wenn man zusammen in einem Kreis sitzt, man sich in die Augen schauen muss und dann niemand etwas sagt. Für mich persönlich war das immer sehr stressig. Wenn man hingegen nebeneinander läuft und einfach in die gleiche Richtung schaut, dann ist das viel angenehmer und das Gespräch viel offener. Dazu tut es einfach auch gut, sich zu bewegen. In der Psychiatrie hat man so wenig Bewegungsmöglichkeiten. Man kennt ja auch die physiologischen Auswirkungen von Sport im Hirn und ich denke daher, dass sich hier noch sehr viel erreichen liesse.

G: Eine Frage zum Abschluss: Du bist ein Mensch wie jeder anderer, aber irgendwie eben trotzdem anders. Deshalb: Was sind deine Wünsche und Pläne für die Zukunft?

K: Ganz allgemein wünsche ich mir für die Zukunft, dass psychische Erkrankungen gleich angesehen werden wie somatische; dass man gleichbehandelt und auch als mündiger Mensch wahrgenommen wird. In Bezug auf die Psychiatrie wünsche ich mir auch, dass ich in die Entscheidungen miteinbezogen werde, sodass ich diese auch nachvollziehen kann. In der Behandlung somatischer Erkrankungen bekommt man ja auch immer mehrere Optionen vorgestellt – wieso bleibt der Miteinbezug von Patienten bei psychischen Erkrankungen also oftmals einfach auf der Strecke? Ich denke, hier wäre es wichtig, dass man eine Gleichbehandlung schafft. Das gilt beispielsweise auch, wenn man fixiert wird. Ist man auf der Intensivstation, so ist jemand 24h pro Tag dort und überwacht einen. Bin ich hingegen in der Psychiatrie auf einer Liege fixiert, so bin ich einfach komplett alleine. Das ändert sich zum Glück auch langsam und vielleicht darf man irgendwann einmal genau so einfach sagen: «Ich bin depressiv und kann nicht mehr schlafen» wie «ich habe mir das Bein gebrochen».

Für mich persönlich… Ich habe momentan recht starke Schmerzen und da mein Sport mir viel Halt gibt, würde ich mir wünschen, dass ich mich wieder schmerzfrei bewegen kann. Es wäre auch schön, irgendwann einmal aus den Ergänzungsleistungen heraus zu kommen. Am meisten wünsche ich mir aber einen Partner, mit dem ich auch die schönen Momente des Lebens teilen und geniessen kann.

 

Borderline-Persönlichkeitsstörung: Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Persönlichkeitserkrankung. Betroffene legen häufig ein impulsives, nicht selten auch selbstzerstörerisches, Verhalten an den Tag, zeigen ein instabiles Selbstbild oder auch eine starke emotionale Labilität. Das genaue Krankheitsbild mag variieren.