«Ich erlebe zwei- bis dreimal in der Woche einen Schub»

Jung und schizophren – wie fühlt sich das an?

Renato

Lieblingsgetränk: Stange Bier

Wann und wie ist deine Krankheit ausgebrochen?

R*: Die ersten Anzeigen zeigten sich, als ich eine Weiterbildung absolvierte. Während dieser Zeit konsumierte ich eine grosse Menge Cannabis, da ich dachte, das helfe mir, meine kognitiven Fähigkeiten zu erweitern, und so länger und besser zu lernen. Das erwies sich allerdings als grosser Irrtum.

Der Anfang meiner Erkrankung war so, dass mein Vorgesetzter mich nach der Hochzeitsfeier eines Arbeitskollegen ins Büro zitierte und mir nahelegte, mich in Behandlung zu begeben. Wahrscheinlich hatte ich während der Hochzeit aufgrund akustischer Halluzinationen mit mir selbst gesprochen. Genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Mein erster stationärer Aufenthalt dauerte dann drei Wochen. Zu dieser Zeit war die Rede von einem Burnout. Danach ging ich aber bereits wieder 100% arbeiten.

Die erste richtige Psychose hatte ich dann nach dem Besuch meines Vaters in Brasilien. Ich wusste, dass sein Gesundheitszustand sehr schlecht war und wollte quasi noch Abschied nehmen. Auch nach Brasilien konnte ich den Cannabiskonsum nicht einschränken und klappte dann plötzlich in einem Rauschzustand zusammen. Es fühlte sich an, als würde mein ganzer Körper brennen. Ich hatte starkes Gedankenlautwerden – man kann es auch als „Stimmenhören“ bezeichnen – sowie Beobachtung- und Verfolgungswahn. Und ich verspürte diverse andere Nebeneffekte wie Beeinträchtigungswahn, Depersonalisierung, Angst, Ich-Störungen und Affektverflachung. Ich behaupte, dass dies eine drogeninduzierte Psychose war. Seither habe ich eine gewisse Restsymptomatik und erlebe 2-3 Mal in der Woche einen Schub.

Wie sieht so ein Schub aus und wie fühlt er sich an?

R*: Ich habe dann beispielsweise Halluzinationen und starke Ängste; ein innerliches Gefühl der Bedrohung, die man sich in einem Hirngespinst zusammenreimt. Der Stresspegel ist immer sehr hoch. Ich habe dann auch, was man «Gedankenlautwerden» nennt, das heisst Gedanken, die sich autonom katastrophisieren. In einem Schub bin ich immer auch recht suizidal und muss stark Alternativgedanken entwickeln. Es plagt einem wirklich. Und die Erwartungsangst vor dem nächsten Schub ist natürlich auch immer da. Aber es ist sehr schwierig zu umschreiben.

Besteht die Möglichkeit, dass diese Schübe mal nachlassen oder ein anderes Muster annehmen? Oder ist das eher dem Zufall überlassen?

R*: Es ist schon eher dem Zufall überlassen. Mein Psychiater sagt mir, ich müsse mich mit diesen Schüben anfreunden, sie annehmen und mit ihnen umzugehen lernen. Mittlerweile gelingt mir das auch bis zu einem gewissen Grad, weil sie ja nicht anhaltend sind – sie gehen wieder vorbei. Und das gibt mir eine gewisse Zuversicht, das Ganze vorbeiziehen zu lassen. Trotzdem muss ich dann in diesem Fall meistens zu einem Beruhigungsmittel greifen.

Bei einer Schizophrenie denkt man oftmals nur an die sogenannten Positivsymptome, also beispielsweise Halluzinationen und Psychosen. Aber eine Schizophrenie umfasst auch Negativsymptome. Hast du auch solche Symptome und wie sehen diese bei dir aus?

R*: Ich habe recht viele solcher Negativsymptome und zwar sowohl krankheits- als auch medikamentenbedingt: Antriebslosigkeit, Interessen- und Begeisterungsunfähigkeit…

Ich weiss nicht genau, wie es ohne die Medikamente wäre, aber ich habe schon das Gefühl, dass sie mich dämpfen. Andererseits bin ich mir zu 90% sicher, dass ich, wenn ich sie absetzen würde, wieder in eine längere Psychose rutschen würde. Und das will ich nie mehr erleben.

Welcher Teil beeinträchtigt dein Leben mehr – die Positiv- oder die Negativsymptome?

R*: Die Hauptbeeinträchtigung kommt schon von den Positivsymptomen, also den Schüben, und der damit verbundenen Erwartungsangst. Das ist das Drama. Mit der Negativsymptomatik komme ich einigermassen klar. Wenn ich z.B. zuhause den Haushalt machen muss, denke ich schon jeweils: «Darauf habe ich jetzt keinen Bock», aber das geht wohl etwa jedem gleich.

Wenn man unter einer Affektabflachung leidet, könnte man ja auch – etwas plakativ gesprochen – sagen, dass das einem grundsätzlich egal sein kann, weil man eben affektverflacht ist.

R*: Man könnte schon sagen, dass man durch diese Affektverflachung etwas kalt wird. Man kann Emotionen nicht mehr so einfach aufrufen.

Früher war ich ein sehr emotionaler Mensch. Und das merke ich schon, dass das jetzt anders ist. Euphorie ist zum Beispiel gar kein Thema mehr bei mir.

Vermisst du das manchmal?

R*: Ja, definitiv.

Wie ist das für dein Umfeld?

R*: Für meinen Bruder hat es sehr lange gedauert zu akzeptieren, dass ich krank bin. Ich war immer der grosse Bruder, das Vorbild, wenn man so will. Ich schaute immer zu ihm. Mittlerweile kann er es akzeptieren, weil er sich sehr mit der Psychoanalytik beschäftigt. Aber meine Krankheit wird eben immer auch mit ihm assoziiert. Man fragt immer: «Ah, wie geht es deinem Bruder?» und solche Dinge. Und das ist für ihn nicht immer ganz einfach.

Meine Schwester macht das relativ gut mit mir. Sie hört mir zu, wenn ich anrufe, und ist von dem her immer da für mich. Meine Mutter war eben auch schon stark schizophren, hörte Stimmen, die sie fertig machten. Von dem her kennen wir alle das eigentlich recht gut. Aber deshalb ist es nicht einfach.

Was sind für dich die grössten Hürden im Alltag mit deiner Erkrankung?

R*: Auf Platz Nummer 1 wären sicher die alltäglichen Dinge zu meistern, wie beispielsweise den Briefkasten zu leeren. Davor habe ich oftmals Angst. Oder auch einkaufen zu gehen. Es ist auch schwierig, sich nicht so einnehmen zu lassen; dass man den Stimmen beispielsweise nicht zu viel Aufmerksamkeit widmet, dass man sich auf den Moment konzentriert und sich gute Gedanken zuspricht.

Wie kann man dich am ehesten unterstützen?

R*: Zuhören ist das, was mir am meisten hilft. Ansonsten kann man eigentlich nicht viel tun. Das liegt bei mir. Ich muss mit meiner Krankheit umgehen.

Was wünschtest du, hättest du zu Beginn deiner Krankheit gewusst, das du jetzt weisst, damals aber nicht?

R*: Ich hätte die Finger von Cannabis gelassen. Und ich hätte vielleicht nicht so wie ein Tier gearbeitet, sondern wäre alles eher ruhiger angegangen.

Kannst du denn momentan arbeiten?

R*: Es ist schwierig. Rein kognitiv wäre alles vorhanden. Aber die Stabilität ist ein Problem.

Ich würde gerne arbeiten. Auch für die Selbstbestätigung. Es ist nicht so, dass ich mir sage: «Ich bin jetzt IV-Rentner, ich geniesse es jetzt». Aber ich weiss nicht, wie die Schübe das zulassen.

Hast du irgendeinen Ratschlag für Menschen in einer ähnlichen Situation parat?

R*: Ich würde vulnerablen Personen raten, sich möglichst wenig Stress auszusetzen – ob beruflich oder privat. Lasst die Hände weg von Drogen. Haltet eure sozialen Kontakte aufrecht und isoliert euch nicht. Bewegt euch genügend. Versucht nicht zu viel zu grübeln. Und: Lebt jetzt, lebt im Moment.

 

 

 

 

Schizophrenie: Eine psychische Krankheit, welche nicht, wie häufig fälschlicherweise angenommen, zu einer "gespaltenen" Persönlichkeit führt, sondern sich in sogenannten Positivsymptomen (Denkstörungen, Sinnestäuschungen, Wahn), Negativsymptomen (Affektabflachung, Apathie, motorische Defizite) und einer Reihe kognitiver Symptome (Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen) äussert. Die Krankheit umfasst verschiedene Unterformen und individuelle Störungsbilder1.

 

 

Quellen:

1„Schizophrenie“. Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schizophrenie [Letzter Aufruf: 05.08.2019].

Veröffentlicht von

ginamesserli

philosophy student @ university of Zürich, wannabe vegan, coffee and tea lover and knowbetter, so basically your average philosophy student.

Hinterlasse einen Kommentar