„Ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung ist nicht einfach nur «krank», sondern hat auch „gesunde“ Seiten an sich, über die du mit ihm ins Gespräch kommen kannst“

Zum Umgang mit einer depressiven Episode und dem Problem der Stigmatisierung am Arbeitsplatz

cof

Lieblingsgetränk: Tee bzw. Ice Tee

 

G: Liebe K, herzlichen Dank für dieses Interview

K: Gerne.

G: Du hast an einem Zeitpunkt in deinem Leben an einer mittelgradigen depressiven Episode gelitten – wie kam es dazu und wie präsentierte sich die Krankheit im Konkreten?

K: Ich hatte schon während längerer Zeit einen Konflikt an meinem damaligen Arbeitsplatz. Mir setzte da ein häufiger Führungs- und ein damit verbundener professioneller Richtungswechsel zu. Dieser Konflikt spitzte sich dann derart zu, dass es – plötzlich – überhaupt nicht mehr ging. Es machte keinen Sinn mehr – nichts machte überhaupt mehr Sinn. Ich wurde dann auch suizidal. In diesem Zustand suchte ich schliesslich meinen Hausarzt aufgesucht, da ich zu diesem Zeitpunkt keinen anderen Arzt hatte. Dieser hat dann mit mir gesprochen, hat mich z.B. gefragt, ob ich nicht mehr schlafen könne und ob ich Gedankenkreisen hätte. Wir haben dann zusammen besprochen, was man machen könnte. Er hat dann herumtelefoniert und hat schliesslich eine Klinik gefunden, in welche ich noch am selben Tag eintreten konnte. Heute bin ich extrem froh, dass das so schnell ging, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich ansonsten noch hier wäre.

 

G: Du bist also auch einige Wochen stationär in Behandlung gewesen – was sind deine Erfahrungen hiermit?

K: Es war insgesamt eine gute Erfahrung. Ich hoffe zwar, dass ich nie mehr derart schwer krank werde, aber ich würde wieder stationär gehen, wenn ich in dem Zustand wäre. Der Eintritt war noch eindrücklich. Ich bezog damals mein Zimmer und setzte mich danach im Aufenthaltsraum an einen Tisch. Ich war zu jener Zeit schwer depressiv d.h. ich redete nicht mehr von mir aus, sondern sass einfach da. Die Mitpatientinnen kamen dann nacheinander auf mich zu, stellten sich mir vor und fragten, ob ich das erste Mal in einer Klinik sei. Da dachte ich dann etwas erschrocken: „Kommt man da mehrmals hin?!“. Weil ich das erste Mal in einer Klinik war, begannen sie mir zu erzählen, wie der Klinikalltag abläuft und beispielsweise auch, dass man auf dem Klinikgelände spazieren könne. Es gab verschiedene Therapieangebote und man hatte regelmässig Gespräche mit einem Bezugspfleger, der Psychiatriefachmann war, und mit dem Arzt/Psychiater. Ich habe heute noch einen Stein, welchen ich in einer der Therapie geschliffen habe, bei mir auf dem Bürotisch stehen.

Es sind sehr einfache Arbeiten, die man in der Therapie machen kann. Einen gesunden Menschen würden solche Arbeiten unterfordern oder komplett langweilen. In einer Depression hat man jedoch keine Energie mehr für sehr anspruchsvolle Arbeiten, weder gedanklich noch körperlich. Deshalb habe ich an diese therapeutischen Arbeiten gute Erinnerungen.

 

G: Wie hat dein Umfeld damals reagiert und wie hättest du dir gewünscht, dass es reagiert?

K: Mein Chor hat damals positiv reagiert. Es kamen dann auch andere Frauen auf mich zu und erzählten mir, was sie bereits erlebt hätten. Dort konnte ich dann irgendwann auch sagen: «Okay, du musst mich jetzt nicht mehr jedes Mal fragen, wie es mir geht» und das haben sie sich auch sagen lassen.

Am Arbeitsplatz war das etwas Anderes. Das sind natürlich Professionelle, bei denen ich dann nie mehr ganz von diesem Label wegkam. Dort hätte ich mir schon einen anderen Umgang gewünscht. Allerdings denke ich auch, dass das an anderen Arbeitsorten sicherlich auch anders gehandhabt wird.

Privat hat es effektiv Leute gegeben, die sich von mir abgewandt haben; wahrscheinlich aus einer Überforderung heraus. Nach zwei Jahren dann, als es mir wieder besserging, mochte ich da den Kontakt aber auch nicht mehr aufnehmen. Schliesslich habe ich ja auch neue Kontakte gefunden, beispielsweise in einer Selbsthilfegruppe.

Ich denke, ich kann einfach nicht von allen erwarten, diesen Weg mit mir zu gehen, denn das ist schwer. Es ist aber sicherlich schön, wenn das Umfeld flexibel reagiert; denn diesen Weg mitzugehen, fordert eine gewisse Flexibilität. Und das überfordert wohl viele Leute.

 

G: Du bist anfänglich offen mit deiner Erkrankung umgegangen, hast dann aber bald bemerkt, dass viele, besonders auch auf der Arbeit, nur noch die Kranke in dir sahen. Möchtest du diese Erfahrung ein wenig ausführen – wie fühlt es sich an, am Arbeitsplatz stigmatisiert zu werden und welchen Umgang hättest du dir gewünscht?

K: Da ich fast zwei Monate stationär war, musste ich meine Arbeitskolleg_Innen und Vorgesetzten über die Krankheit informieren. Auch als ich nach dem Klinikaufenthalt die Arbeit zu 50 % wiederaufnehmen konnte, war ich noch nicht ganz gesund. Das haben meine Arbeitskolleg_Innen miterlebt. Ich konnte mein Pensum dann aber relativ rasch steigern und wäre wieder voll leistungsfähig gewesen. Trotzdem wurde ich weiter geschont d.h. es wurden mir keine Projektmitarbeiten mehr zugetraut und ich musste meinen Arbeitskolleginnen die einfacheren Arbeiten, welche mich unterforderten, abnehmen, während sie die interessanten Zusatzarbeiten zugeteilt erhielten. Obwohl ich das gegenüber meiner Vorgesetzten thematisierte, wurde nichts dagegen unternommen. Die Begründung war dann immer: „Du warst aber einmal krank und könntest wieder krank werden. Wir haben eine Verantwortung für dich.“

Ich hätte mir gewünscht, dass mein Arbeitgeber den Gesundungsprozess und die damit verbundene Steigerung meiner Leistungsfähigkeit mitgemacht hätte; dass er mir mit der Zeit auch wieder mehr zugetraut hätte. Denn Unterforderung kann auch krankmachen und mir war es teilweise wirklich todlangweilig.

 

G: Durch deinen Beruf als Sozialversicherungsfachperson kommst du auch im beruflichen Leben viel mit dem Thema «psychische Krankheiten» in Kontakt. Inwiefern beeinflussen sich diese beiden Perspektiven – die professionelle und diejenige jemandes, der selbst einmal eine psychische Krankheit durchlebt hat – gegenseitig?

K: Ich kam tatsächlich zuerst als Fachperson in Kontakt mit psychisch Kranken. Ich fand das damals, als ich kurz nach meiner Ausbildung meine erste Stelle antrat, eigentlich auch ziemlich spannend. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass diese Leute «spinnen» oder gar Angst vor ihnen, da ich sie ja auch persönlich kennen lernte. Diese Erfahrungen nahm ich auch in mein weiteres Berufsleben mit.

Als ich dann selbst als Patientin in die Klinik ging, hatte ich eigentlich ebenfalls keine Angst, schon gar keine Berührungsängste.

Heutzutage scheint es in meiner Funktion für mich zwei Haltungen zu geben, die ich gut miteinander vereinen kann: Da ist einerseits die Perspektive der Gesunden, die auch ein wesentlicher Teil meiner Arbeit ist und sein muss, andererseits aber auch die Perspektive jemandes, der selbst einmal eine Episode psychischer Krankheit erlebt hat; und das hilft mir. Natürlich nimmt man manchmal den Telefonhörer ab und denkt, dass das, was die Person am anderen Ende der Leitung sagt, recht krank ist. Auf der anderen Seite, wenn ich auf meine damaligen Probleme zurückblicke, dann muss ich heute auch sagen, dass das ziemlich krank war.

 

 – Die nächsten zwei Fragen beziehen sich auf die Situation in der Schweiz –

 

G: Eine psychische Krankheit darf mit Blick auf den Beruf oder einen allfälligen Stellenwechsel nicht immer verschwiegen werden. Könntest du den Lesern einige Tipps geben, wann eine Offenlegung notwendig ist?

K: Das ist eine rechtliche Frage. Wechselt man beispielsweise die Stelle und erhält den Gesundheitsfragebogen der Pensionskasse, dann muss man die Angaben natürlich wahrheitsgetreu ausfüllen. Alles andere ist falsche Antragsdeklaration und in so einem Fall hat man leider die Pensionskassenbeiträge vergebens bezahlt.

Im Vorstellungsgespräch ist es wohl eine Ermessensfrage. Vorausgesetzt, dass man gesund ist und die geforderte Leistung erbringen kann, muss man nichts sagen. Ich habe damals nach meiner Episode und als ich wieder gesundet war, auch nichts beim Vorstellungsgespräch gesagt. Hätte man mich konkret gefragt, ob ich Erfahrungen damit habe, dann hätte ich mich wohl rausgeredet, da ich Angst gehabt hätte, dass man mich nicht nähme, weil man mir nichts zutraut.

Im Zweifelfalle würde ich mich von der Rechtschutzversicherung leiten lassen.

 

G: Es ist möglich, als psychisch kranke Person eine Invalidenrente zu erhalten, wenn man «austherapiert» ist. Dem Begriff «austherapiert» hängt aber immer noch eine grosse Unschärfe an. Was muss man momentan unter «austherapiert» verstehen und was ist deine persönliche Meinung dazu?

K: Das grosse Thema, besonders bei Depressionen, ist heutzutage vor allem, dass es diese Invalidenrente für die betroffenen, psychisch kranken Personen eben meist gerade nicht gibt, weil man davon ausgeht, dass die Krankheit vorbeigehen wird. Was man unter dem Begriff «austherapiert» zu verstehen hat, kann ich so nicht direkt benennen, da ich nicht Arzt bin. Im Grunde genommen ist es sicher aber auch ein Problem, dass viele Leute die Medikamente zu schnell wieder absetzen und teilweise rückfällig werden oder die Therapie zu wenig seriös angehen. Deshalb ist es auch so schwer an eine solche Rente zu kommen. Vielfach ist natürlich auch problematisch, dass man sich selbst als kranke Person nicht mehr helfen lässt, sondern es eigentlich einfacher fände, einfach eine finanzielle Leistung zu erhalten. Hier aber finde ich, dass man damit niemanden einen Gefallen tut. Schliesslich wird man auch mit einer Invalidenrente nicht plötzlich gesund. Im Gegenteil: Das ist dann sogar noch ein zweites gesellschaftliches Stigma, mit dem man leben muss. Kann einer Person aber wirklich nicht geholfen werden, dann ja, kann eine Invalidenrente durchaus gerechtfertigt sein.

 

G: Als Betroffene wie als jemand, der selbst mit solchen Menschen in Kontakt kommt – was sind wichtige Tipps, egal aus welcher Perspektive, die du jemandem, der selbst betroffen ist, auf den Weg geben kannst?

K: Es ist nicht ganz einfach, Tipps zu geben. Wichtig ist aber sicherlich, einfach dran zu bleiben, besonders auch auf dem medizinischen Weg, selbst wenn es momentan keinen Sinn zu machen scheint. Es ist sehr hart durchzuhalten, aber es wird Schritt für Schritt besser werden.

Was mir damals auch sehr geholfen hat und was ich auch zwei Jahre lang durchgezogen habe, ist der Besuch einer Depressions-Selbsthilfegruppe. Die wird nicht von Fachleuten, sondern von Betroffenen selbst organisiert. Oftmals hatte meine Ärztin auf Fragen wie beispielweise, wieso schon staubsaugen für mich extrem anstrengend ist, obwohl mein Körper ja eigentlich gesund ist, keine Antwort; dort aber hört man auch von anderen, denen es so geht und fühlt sich zumindest nicht mehr so allein. Dieser Austausch mit Gleichbetroffenen hat mir wirklich sehr geholfen und das waren auch die Menschen, die mir die besten Tipps geben konnten, wie ich mit der tatsächlichen Situation umgehen konnte.

 

G: Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?

K: Ich wünsche mir einen natürlichen Umgang zwischen psychisch kranken und psychisch gesunden Menschen. Jeder Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte. Auch ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung ist nicht einfach nur «krank», sondern hat auch „gesunde“ Seiten, über die du mit ihm ins Gespräch kommen kannst.

Veröffentlicht von

ginamesserli

philosophy student @ university of Zürich, wannabe vegan, coffee and tea lover and knowbetter, so basically your average philosophy student.

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